Operation Amazonas
Botaniker konnte er über die üppige Flora nur staunen: langstielige Schachtelhalme von der Größe von Orgelpfeifen, Farne, neben denen gewöhnliche Palmen winzig erschienen, gewaltige primitive Koniferen mit Zapfen von der Größe eines VW-Käfers. Die Mischung aus Alt und Neu war einfach atemberaubend; ein gemischtes Ökosystem, wie es noch kein Wissenschaftler vor ihm erblickt hatte.
Professor Kouwe hatte sich ihm angeschlossen. »Was hältst du davon?«
Nate schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Man hat auch schon früher prähistorische Gehölze entdeckt. In China wurde in den Achtzigern ein Wald von urzeitlichen Rotholzbäumen entdeckt. In Afrika eine Grotte mit seltenen Farnen. In Australien hat man in einem abgelegenen Regenwald erst kürzlich eine Ansammlung ausgestorben geglaubter prähistorischer Bäume entdeckt.« Nate blickte Kouwe an, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Bedenkt man, wie wenig der Amazonas bislang erforscht wurde, sollte man sich eher wundern, warum wir nicht schon eher auf ein solches Gehölz gestoßen sind.«
»Der Dschungel versteht es, seine Geheimnisse zu verbergen«, meinte Kouwe.
Das Blätterdach wurde immer dichter, die Bäume höher. Die Morgensonne verbreitete nur noch ein grünes Dämmerlicht. Es war, als beträten sie ein Schattenreich.
Die Gespräche verstummten allmählich. Mittlerweile konnte auch ein Nichtbotaniker erkennen, dass dieser Dschungel ungewöhnlich war. Die prähistorischen Pflanzen überwogen allmählich die Exemplare der Neuzeit. Die Bäume wurden immer größer, gewaltige Farne ragten ringsum auf, eigentümlich verdrehte Pflanzen wanden sich um die Bäume. Sie kamen an stachligen Ananasgewächsen vorbei, die so groß waren wie ein kleines Landhaus. Die Kletterpflanzen trugen kürbisgroße Blüten, die einen betäubenden Duft verströmten.
Sie wandelten durch ein Gewächshaus von erstaunlichen Ausmaßen.
Auf einmal hielt Kostos an, den Blick auf den Pfad gerichtet, die Waffe schussbereit erhoben. Dann bedeutete er ihnen, sich zu ducken.
Alle gingen in die Hocke. Nate schwenkte die Schrotflinte umher. Dann auf einmal sah auch er, was der Ranger bemerkt hatte.
Nate blickte nach links, nach rechts, sogar nach hinten. Es war wie bei einem dieser computererzeugten Bilder, auf denen man zunächst bloß ein wirres Muster bunter Punkte wahrnimmt, aus denen das 3-D-Bild erst dann hervortritt, wenn man aus einem bestimmten Blickwinkel darauf schielt.
Auf einmal sah Nate den Dschungel in einem neuen Licht.
Hoch oben in den Bäumen hatte man Plattformen auf den dicken Ästen errichtet, darauf standen kleine Hütten. Die aus lebenden Blättern und Kletterpflanzen gewobenen Dächer stellten eine natürliche Tarnung dar. Die Behausungen verschmolzen perfekt mit den Wirtsbäumen.
Als Nate genauer hinsah, stellte er fest, dass die Kletter- und Schlingpflanzen, die sich zwischen den Bäumen spannten und auf den Boden herabhingen, in Wirklichkeit natürliche Brücken und Leitern waren. Eine dieser Leitern befand sich nur wenige Meter zu Nates Rechten. Auf der ganzen Länge trug sie Blüten. Auch die Leiter war lebendig.
Als er sich umschaute, hatte er Mühe zu erkennen, wo das Menschenwerk aufhörte und wo die Natur begann. Der Baum war halb künstlich gestaltet, halb natürlich gewachsene Pflanze. Die Mischung war erstaunlich, die Tarnung perfekt.
Unbemerkt hatten sie das Dorf der Ban-ali bereits betreten.
Vor ihnen zogen sich die Bauten an noch höheren Bäumen empor, mehrstöckige Konstruktionen mit Terrassen und Veranden. Doch auch diese waren mit Rinde, Kletterpflanzen und Blättern so gut getarnt, dass sie kaum auszumachen waren.
Sie blickten sich staunend um, ohne sich zu rühren. Eine Frage stand allen ins Gesicht geschrieben: Wo waren die Bewohner der Baumsiedlung?
Plötzlich knurrte Tor-tor warnend.
Im nächsten Moment sah Nate die Indianer. Sie waren die ganze Zeit schon dagewesen, reglos und schweigend, Teil des lebendigen Schattens. Mit ihren schwarz bemalten Leibern waren sie mit der Dunkelheit zwischen den Bäumen und Büschen verschmolzen.
Einer der Indianer trat aus dem Schatten auf den Weg hinaus. Von ihren Waffen ließ er sich nicht beeindrucken.
Nate war sicher, dass dies der Indianer war, der sie hergeführt hatte. In die schwarzen Haare hatte er sich Blattteile und Blüten geflochten, was die Tarnung vervollständigte. Er war unbewaffnet. Bis auf einen schlichten Lendenschurz war der Indianer nackt. Er musterte die Gruppe mit
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