Operation Amazonas
nackte Indianer. Um sie herum waren weitere Ban-ali zugange. Die liegenden Männer und Frauen waren offenbar krank: hier ein bandagierter Fuß, dort ein geschienter Arm oder eine fiebrige Stirn. Kelly beobachtete, wie ein Indianer mit einer länglichen klaffenden Wunde auf der Brust zusammenzuckte, als ein Stammeskollege eine Paste auf die Verletzung auftrug.
Kelly wurde augenblicklich bewusst, was sie da vor sich hatte.
Eine Krankenstation.
Der kleine Indianer, der sie hierher befohlen hatte, stand ein paar Schritte abseits und blickte ihnen ungeduldig entgegen. Er zeigte auf eine Hängematte und sagte schnell etwas in einer fremden Sprache.
Ihr Führer nickte und ging mit der Trage zu der bezeichneten Hängematte.
Professor Kouwe murmelte: »Wenn ich mich nicht irre, ist das ein Yanomami-Dialekt.« Die Überraschung war ihm deutlich anzuhören.
Er erklärte ihr, was das bedeutete. »Von der Sprache der Yanomami sind keine Varianten bekannt. Ihre Sprachmuster und tonalen Strukturen sind einzigartig. Sprachwissenschaftlich betrachtet ein Einzelfall. Dies ist einer der Gründe, weshalb man die Yanomami als ältesten Stamm des Amazonasgebiets betrachtet.« Er musterte staunend die Männer und Frauen im Raum. »Die Ban-ali sind offenbar ein Seitenzweig, ein vergessener Yanomami-Stamm.«
Kelly nickte bloß, zu sehr von der Sorge um Frank in Anspruch genommen, um die Ausführungen des Professors würdigen zu können.
Unter der Aufsicht des kleinwüchsigen Indianers wurde die Trage abgesetzt und Frank in die Hängematte gelegt. Kelly wich nicht von seiner Seite. Frank stöhnte leise, seine Lider flatterten. Offenbar ließ die Wirkung der Beruhigungsmittel nach.
Kelly bückte sich zur Arzttasche, die auf der leeren Trage lag. Ehe sie eine Spritze und die Morphiumflasche auspacken konnte, erteilte der kleine Heiler seinen Helfern in barschem Ton Anweisungen. Ihr Führer und ein anderer Indianer machten sich daran, die Verbände an Franks Beinstummeln mit kleinen Knochenmessern zu lockern.
»Nicht!«, sagte Kelly und richtete sich auf.
Niemand achtete auf sie. Die Indianer machten sich weiter an den Mullstreifen zu schaffen. Die Blutung wurde stärker.
Sie packte den größeren Indianer beim Ellbogen. »Nein! Du weißt ja gar nicht, was du da tust. Warte solange, bis ich die Druckverbände und eine Infusion vorbereitet habe! Er verblutet sonst!«
Der Mann schüttelte ihre Hand ab und blickte sie finster an.
Kouwe mischte sich ein. Er zeigte auf Kelly. »Das ist unsere Heilerin .«
Der Indianer blickte verdutzt den Stammesschamanen an.
Der kleine Indianer hockte am Kopf der Hängematte vor der gebogenen Außenwand. Er hielt eine Schüssel in der Hand und sammelte den dicken Saft, der aus einer in die Wand gemeißelten Rinne troff. »Ich Heiler«, sagte er. »Das Ban-aliMedizin. Soll Blutung stillen. Starke Medizin von Yagga .«
Kelly blickte Kouwe an.
Er übersetzte. » Yagga … klingt so ähnlich wie yakka … die Yanomami-Bezeichnung für Mutter.«
Kouwe blickte sich im Raum um. »Offenbar bezeichnen sie den Baum als Yagga . Eine Gottheit.«
Der Schamane richtete sich mit der halb vollen Schüssel auf. In die Öffnung der Abflussrinne steckte er einen Pflock, damit kein weiterer Saft austreten konnte. »Starke Medizin«, wiederholte er und trat zur Hängematte. »Das Blut der Yagga wird Blutung des Mannes stillen.« Dies klang wie eine auswendig gelernte Maxime, wie die Übersetzung eines alten Sprichworts.
Er bedeutete dem anderen Indianer, einen der beiden Verbände zu lösen.
Kelly wollte Einwände erheben, doch Kouwe drückte ihren Arm. »Halten Sie Verbandszeug und den Infusionsbeutel bereit«, flüsterte er ihr zu. »Aber erst mal wollen wir abwarten, was der Medizinmann zustande bringt.«
Eingedenk des kleinen Indianermädchens im Krankenhaus von São Gabriel, bei dem die westliche Medizin so wenig hatte ausrichten können, verkniff sie sich eine Entgegnung. Vorerst würde sie den Ban-ali gewähren lassen, wobei sie weniger dem kleinen Schamanen als vielmehr Professor Kouwe vertraute. Sie stellte die Arzttasche auf den Boden und wühlte darin, zog mit geübter Hand Verbandszeug und einen Beutel mit Kochsalzlösung heraus.
Als Kelly das Gesuchte bereitgelegt hatte, wanderte ihr Blick zum Saftkanal in der Wand. Das Blut der Yagga . Die angezapfte Ader zeichnete sich im honigfarbenen Holz als dunkles Band ab, das sich von der Abflussrinne bis zum Dach zog. Kelly bemerkte noch weitere Adern, die jeweils zu einer der
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