Operation Amazonas
doch stets als Pananakiri angesehen, als Fremde. Niemand würde ihnen gegenüber die Ban-ali erwähnen.«
Nate fühlte sich unwillkürlich gekränkt. »Aber ich –«
»Nein, Nathan. Ich will damit weder deine Arbeit noch deine Fähigkeiten herabsetzen. Aber für viele Stämme haben Namen eine besondere Kraft. Die wenigsten wagen es, den Namen der Ban-ali auszusprechen. Sie fürchten, die Blutjaguare auf sich aufmerksam zu machen.« Kouwe deutete auf die Zeichnung. »Wenn man dieses Symbol mit sich führt, darf man es nur mit Vorsicht zeigen. Es gibt kein mächtigeres Tabu als dieses Zeichen.«
Kelly runzelte die Stirn. »Dann ist es also unwahrscheinlich, dass Agent Clark durch Indianerdörfer gekommen ist.«
»Andernfalls wäre er nicht mehr lebend herausgekommen.«
Kelly und Frank wechselten besorgte Blicke, dann wandte sich die Ärztin an Nathan. »Die Expedition ihres Vaters wollte die Stämme des Amazonasgebiets erfassen. Falls er von diesen mysteriösen Ban-ali gehört haben oder auf Spuren von ihnen gestoßen sein sollte, wollte er vielleicht Kontakt mit ihnen aufnehmen.«
Manny faltete das Papier zusammen. »Vielleicht hat er sie ja gefunden.«
Kouwe fixierte die Tabakglut in seiner Pfeife. »Gebe Gott, dass dem nicht so war.«
Etwas später, als die meisten Einzelheiten geklärt waren, schaute Kelly zu, wie das Trio, eskortiert von einem Ranger, das Lagerhaus verließ. Ihr Bruder Frank berichtete seinen Vorgesetzten, darunter ihrem Vater, bereits per Satellitenverbindung von den bislang erzielten Fortschritten.
Kellys Blick aber wanderte zu Nathan Rand. Sie verübelte ihm noch immer sein Benehmen im Krankenhaus. Allerdings war er nicht mehr der verschwitzte, abgerissene Bursche mit dem fettigen Haar, der das Mädchen auf der Trage angeschleppt hatte. Frisch rasiert und in sauberen Kleidern wirkte er durchaus stattlich: dunkelblondes Haar, gebräunte Haut, stahlblaue Augen. Sogar die Art und Weise, wie er eine Augenbraue hochzog, wenn etwas sein Interesse weckte, war irgendwie anziehend.
»Kelly!«, rief ihr Bruder. »Hier möchte dir jemand guten Tag sagen.«
Seufzend trat Kelly zu ihrem Bruder. Im Raum wurden gerade die letzten Vorbereitungen abgeschlossen und die Ausrüstung noch einmal überprüft. Sie stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch und blickte auf den Bildschirm des Laptops. Als sie die beiden wohlvertrauten Gesichter sah, breitete sich ein warmes Lächeln über ihre Züge.
»Mutter, Jessie soll doch nicht so lange aufbleiben.« Sie sah auf ihre Armbanduhr und rechnete die Zeit im Stillen um. »Bei euch geht es schon auf Mitternacht zu.«
»Es ist sogar schon nach Mitternacht, Liebes.«
Kellys Mutter hätte ihre Schwester sein können. Ihr Haar zeigte das gleiche tiefe Kastanienrot. Allein die etwas tieferen Falten in den Augenwinkeln und die kleine Brille zeugten von ihrem Alter. Mit Kelly und Frank war sie im Alter von zweiundzwanzig schwanger geworden, als sie noch Medizin studierte. Zwillinge bekommen zu haben, reichte der Medizinstudentin und dem jungen Überwachungstechniker der Navy. Es waren keine weiteren Kinder mehr nachgekommen.
Dies hielt Kelly jedoch nicht davon ab, in die Fußstapfen ihrer Mutter zu treten und in ihrem vierten Studienjahr an der Georgetown University schwanger zu werden. Anders als ihre Mutter, die mit dem Vater ihrer Kinder zusammen geblieben war, ließ Kelly sich von Daniel Nickerson scheiden, als sie ihn mit einer Kommilitonin im Bett erwischte. Er war zumindest so anständig gewesen, ihr nicht das Sorgerecht für ihre einjährige Tochter Jessica streitig zu machen.
Jessie, inzwischen sechs Jahre alt, stand neben ihrer Großmutter, gekleidet in ein gelbes Flanellnachthemd mit einer Pocahontas-Figur darauf. An ihren zerzausten roten Haaren war unschwer zu erkennen, dass sie geradewegs aus dem Bett kam. Sie winkte in die Aufnahmekamera.
»Hi, Mommy!«
»Hi, meine Süße. Fühlst du dich wohl bei Grandpa und Grandma?«
Jessie nickte heftig. »Heute waren wir bei Chuck E. Cheese’s!«
Kellys Lächeln vertiefte sich. »Klingt gut. Ich wär gern mitgekommen.«
»Wir haben dir ein Stück Pizza aufgehoben.«
Kellys Mutter verdrehte im Hintergrund mit der gespielten Verzweiflung aller Großeltern, die mit dem riesigen Nagetiermaskottchen von Chuck E. Cheese’s Bekanntschaft gemacht haben, die Augen.
»Hast du schon Löwen gesehen, Mommy?«
Das brachte ihr ein Kichern ein. »Nein, Schatz, hier gibt es keine Löwen. Die leben in Afrika.«
»Und
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