Operation Amazonas
Dschungel und machen sich Sorgen um einen geliebten Menschen, müssen aber weitermachen und stark sein.«
Kelly nahm an seiner Seite Platz. »Genau wie Sie, als Ihr Vater vermisst wurde.«
Nate blickte auf den Fluss hinaus und antwortete mit belegter Stimme. »Aber es geht nicht bloß um Sorge und Angst. Es geht auch um Schuldgefühle.«
Sie wusste genau, was er meinte. Was stapfte sie hier durch den Dschungel, jetzt, da Jessie in Gefahr war? Eigentlich hätte sie mit dem nächsten Flugzeug nach Hause fliegen sollen.
Sie schwiegen, doch die Stille war zu schmerzvoll, deshalb stellte Kelly eine Frage, die sie seit ihrer ersten Begegnung mit Nate beschäftigte. »Weshalb sind Sie hier?«
»Wie meinen Sie das?«
»Der Amazonas hat ihnen die Eltern genommen. Weshalb sind Sie zurückgekehrt? Ist das nicht zu schmerzvoll?«
Nate rieb die Hände aneinander und sah schweigend zu Boden.
»Tut mir Leid. Das geht mich nichts an.«
»Nein«, sagte er rasch und blickte sie kurz an. »Ich … ich habe bloß bedauert, dass ich die Zigarette ausgetreten habe. Jetzt könnte ich eine gebrauchen.«
Sie lächelte. »Wir können gerne das Thema wechseln.«
»Nein, das ist schon okay. Sie haben mich bloß überrascht. Aber Ihre Frage ist schwer zu beantworten, und die richtigen Worte zu finden, ist noch schwerer.« Nate lehnte sich zurück. »Als ich meinen Vater verloren hatte, als ich aufhörte, nach ihm zu suchen, habe ich dem Dschungel tatsächlich den Rücken gekehrt und mir geschworen, nie mehr hierher zurückzukehren. Aber der Schmerz verfolgte mich bis in die Staaten. Ich versuchte, ihn in Alkohol zu ertränken und mit Drogen zu betäuben, aber das hat alles nichts genutzt. Vor einem Jahr saß ich dann auf einmal wieder im Flugzeug nach Südamerika. Ich kann nicht sagen, warum. Ich fuhr zum Flughafen, kaufte am Schalter von Varig ein Ticket, und ehe ich mich’s versah, landete ich in Manaus.«
Nathan stockte. Er atmete schwer, von Gefühlen überwältigt. Kelly legte ihm behutsam die Hand aufs nackte Knie. Er legte seine Hand auf ihre.
»Als ich wieder im Dschungel war, stellte ich fest, dass der Schmerz hier erträglicher war, weniger verzehrend.«
»Wie das?«
»Ich weiß es nicht. Meine Eltern sind hier nicht bloß umgekommen, sie haben hier gelebt . Das hier war ihre eigentliche Heimat.« Nate schüttelte den Kopf. »Das können Sie bestimmt nicht verstehen.«
»Ich glaube doch. Hier fühlen Sie sich ihnen am nächsten.«
Sie spürte, wie Nate sich versteifte. Das Schweigen währte diesmal lange.
»Nate?«
Seine Stimme klang rau. »Ich konnte es bislang nicht in Worte fassen. Aber Sie haben Recht. Hier im Dschungel sind sie mir nahe. Die Erinnerungen sind hier am stärksten. Meine Mutter, die mir gezeigt hat, wie man Maniokwurzeln zu Mehl vermahlt … Mein Vater, der mir beigebracht hat, die Bäume anhand der Blätter zu benennen …« Seine Augen leuchteten. »Das hier ist meine Heimat.«
In seinem Gesicht mischten sich Freude und Trauer. Unwillkürlich lehnte sie sich an ihn, angezogen von der Tiefe seiner Empfindung. »Nate …«
Ein leises Plätschern ließ sie beide zusammenzucken. Wenige Meter vom Ufer entfernt schoss eine kleine Fontäne aus dem Wasser. Etwas Großes glitt vorbei und verschwand.
»Was war das?«, fragte Kelly, die sich halb erhoben hatte.
Nate legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie wieder herunter auf den Baumstamm. »Davor braucht man keine Angst zu haben. Das war bloß ein Boto , ein Süßwasserdelfin. Davon gibt’s hier viele, aber sie sind scheu. Meistens trifft man sie in abgelegenen Gebieten an, wo sie in kleinen Schwärmen leben.«
Wie zum Beweis seiner Worte stiegen auf einmal zwei weitere Fontänen empor. Kelly war diesmal vorbereitet und machte kleine Rückenflossen aus, die das Wasser durchteilten und gleich wieder untertauchten.
»Die sind schnell«, murmelte sie.
»Wahrscheinlich jagen sie gerade.«
Während sie es sich wieder bequem machten, schoss ein ganzer Schwarm Delfine vorbei. Unheimliche Klick- und Pfeifgeräusche waren zu vernehmen. Nate hatte dergleichen noch nie erlebt. Der Fluss war voller Delfine, die mit der Strömung dahinschossen.
Nate erhob sich stirnrunzelnd.
»Was haben Sie?«, fragte Kelly.
»Ich weiß nicht.« Ein einzelner Delfin schoss durchs flache Wasser. Er prallte gegen das schlammige Ufer, wäre beinahe aufs Trockene geraten. Dann beförderte er sich mit der Schwanzflosse wieder ins tiefere Wasser. »Etwas hat sie in Panik versetzt.«
Auch Kelly stand
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