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Operation Beirut

Operation Beirut

Titel: Operation Beirut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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Kaffeehäusern, und dachte, was wir doch für ein Glück hatten. Wir trafen in jenen Tagen keine Sicherheitsvorkehrungen. Wir dachten noch nicht einmal daran! Um uns herum lebten lauter Juden. Aber wir waren die Herren dieses Landes. Was sollte uns schon passieren?
    Als ich älter wurde, fiel mir auf, dass Romema immer größer wurde und Lifta immer kleiner. Man hätte noch nicht einmal mehr sagen können, wo Lifta lag, außer dass es noch immer die alten Steinhäuser an der Flanke des Hügels gab. Alles war zu einer einzigen Vorstadt geworden. Aber keiner machte sich deswegen Sorgen. Wir bauten und breiteten uns aus und verdienten Geld. Einige Jungen aus dem Dorf lieferten sich von Zeit zu Zeit kleine Scharmützel mit den Juden an der Jaffastraße, und sie versuchten uns beizubringen, dass sich eine Katastrophe anbahnte. Aber keiner in Lifta hörte groß auf sie. Wir waren so gutgläubig und so naiv, als hätte man uns schon in den Schlaf gewiegt.»
    «Ihr wart Narren», sagte Jamal.
    Abu Nasir gab ihm keine Antwort. Er sah Jamal mit einem Ausdruck belustigter Toleranz an, wie ihn ältere Männer für ungestüme junge Männer haben, die sich einbilden, sie hätten die Tapferkeit und die Schlauheit erfunden.
    «Die Welt von Lifta wurde in einer einzigen Nacht zerstört», fuhr Abu Nasir fort. «Ich erinnere mich an das Datum. Es war der 29. Dezember 1947. Die Alten aus dem Dorf waren in eines der Kaffeehäuser an der Jaffastraße gegangen, um Kaffee zu trinken und die Nargileh zu rauchen. Sie saßen in einem Zimmer wie diesem hier. Voller Rauch und Worte und Träume.
    Die Juden traten die Tür des Kaffeehauses ein und begannen zu schießen. Sechs der alten Männer wurden getötet, einschließlich des
moukhtar
. Ich schlief in jener Nacht, aber ich hörte die Schüsse und das Wehklagen der Frauen. Ich dachte, der Weltuntergang hätte begonnen. Es war, als würde das ganze Dorf mit einem Schlag aus einem tiefen Schlaf geweckt, und wir starben fast vor Angst. Jeder dachte, als Nächstes würden die Juden in sein Haus kommen! Keiner schlief mehr für den Rest der Nacht. Am nächsten Morgen begannen die Leute ihre Sachen zusammenzupacken. Niemand konnte so richtig erklären, warum. Aber der Grund war offensichtlich. Sie hatten fürchterliche Angst. Die Welt von Lifta war auf Illusionen erbaut worden; und als die Illusionen zerstört waren, brach alles zusammen. Die Leute nahmen nur kleine Koffer und sagten einander, es sei ja nicht für lange. Sie zogen in die Nähe, nach Ost-Jerusalem oder Ramallah oder El Bireh. In zwei Wochen wollten sie wieder zu Hause sein – spätestens in einem Monat –, wenn sich die Lage beruhigt hätte und die Kämpfe vorbei wären. Aber die Kämpfe hörten nicht auf. Es wurde immer schlimmer, und als der nächste Winter kam, war der Krieg um Palästina vorbei. Wir hatten unser Dorf verloren.»
    «Oder verschenkt», sagte Jamal.
    «Du hast recht, mein gescheiter junger Mann. Wir haben unser Dorf verschenkt. Aber das war nicht das Schlimmste, was in jener Nacht im Dezember 1947 passierte.»
    «Was könnte noch schlimmer sein?»
    «Das Schlimmste war, dass wir unsere Selbstachtung verloren. Die Männer aus Lifta gerieten in Panik und flohen wie Weiber, und die meisten von ihnen sind noch immer auf der Flucht. Sogar jetzt noch können es viele nicht ertragen, sich einzugestehen, was damals passiert ist. Sie haben sich einen Mythos zurechtgelegt, warum sie damals weggelaufen sind; und den erzählen sie jetzt ihren Kindern und Enkelkindern.»
    «Einen Mythos?»
    «Einen Mythos des Terrors. Sie behaupten jetzt, sie hätten Lifta erst verlassen,
nachdem
Begin und die Irgun Deir Yassin zerstört hatten! Jeder Palästinenser hat von Deir Yassin gehört. Es ist die Verkörperung allen Übels und jedermanns Ausrede für die Niederlage. Und bis auf den heutigen Tag reden sich die Alten ein, dass sie Lifta erst nach der Abschlachtung der 250 armen Dorfbewohner von Deir Yassin verlassen haben.
    Aber, Jamal, ich will dir etwas sagen. Das ist eine Lüge! Die Leute aus Lifta sind vier Monate
vor
Deir Yassin geflohen! Sie sind Feiglinge, sogar jetzt noch! In alle Winde zerstreut, heimatlos, landlos. Sie haben alles verloren. Und noch immer können sie der Wahrheit nicht ins Gesicht sehen.»
    «Sie sind erbärmlich», sagte Jamal.
    «Vielleicht. Aber ihre Gefühle sind menschlich und zeitlos. Und das ist der Grund, warum ich dir diese traurige Geschichte von meinem Dorf erzähle. Weil es

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