Operation Beirut
Politik der Fatah besagt, gegen internationale terroristische Operationen zu sein. Aber weißt du, was ich in meinem Herzen und in meinem Bauch fühle?»
«Was fühlst du?», fragte Jamal fast flüsternd.
«Ich bin stolz! Es macht mich glücklich zu wissen, dass sie Angst vor uns haben. Ich sehe die Angst in den Augen der Leute gerne, wenn ich eine Straße entlanggehe; wenn ich jemanden hinter meinem Rücken sagen höre: ‹Nehmt euch vor dem in Acht! Das ist ein Wahnsinniger! Er ist ein Mörder!› Dann bin ich glücklich für den Rest des Tages.»
Jamal nickte. Ja, dachte er, genauso geht es mir auch. Genauso geht es jedem Palästinenser. Wir mögen die Juden nicht besiegen, aber wenigstens gelingt es uns, ihnen Angst um ihr Leben einzujagen.
«Ich würde dir gerne ein Geheimnis erzählen», sprach Abu Nasir weiter. «Es ist etwas, was die Ägypter ein Staatsgeheimnis nennen würden. Etwas, was Nasser gesagt hat, und ich habe geschworen, es niemals jemandem zu sagen. Aber jetzt, da Nasser tot ist – Gott gebe seiner Seele Frieden –, werde ich es dir sagen. Nasser traf den Alten Mann zum ersten Mal 1967. Am Schluss ihrer Begegnung, nachdem sie lange hin und her geredet hatten, sagte Nasser zu ihm: ‹Warum sollten Sie nicht unser Begin sein?›»
«Begin?», fragte Jamal.
«Ja. Wir haben Nasser nicht ernst genommen. Wir dachten, er scherzte. Aber er hatte recht.»
«Was redest du da, Onkel?»
«Unser Volk liegt im Sterben! Das passiert uns jetzt zum zweiten Mal. Der Widerstand ist in alle Winde zerstreut; unsere Moral ist gebrochen; unser Volk ist auf der Flucht. Dieses Mal ist unser Feind ein arabischer Führer, der König von Jordanien; das ist aber auch der einzige Unterschied. Der September 1970 ist nichts anderes als der Dezember 1947. Eine neue Generation ist dabei, eine Verlierermentalität zu entwickeln. Sie sind bereits dabei, die Lügen zu erfinden, die sie ihren Kindern über den Schwarzen September erzählen werden! Als Volk liegen wir im Sterben; wir verschwinden in die Geschichte auf einer Welle der Niederlage und der Selbsttäuschung.
Jamal, mein Freund und Bruder, wir müssen aus diesem Kreis ausbrechen! Um zu überleben, müssen wir einen Weg finden, um unseren Feinden Angst vor uns zu machen. Sonst ist es mit uns vorbei. Und genau das ist es, was ich dir sagen wollte: Das wird unsere Aufgabe sein, deine und meine: Unsere Feinde das Messer der Angst spüren zu lassen.»
Die Geschichte endete so ruhig, wie sie begonnen hatte. Inzwischen hatte sich das Zimmer mit Rauch gefüllt – so dick und dicht, dass das Gesicht Abu Nasirs kaum noch zu sehen war. Jamal erhob sich vom Diwan und küsste den alten Mann schweigend. Tränen liefen ihm über die Wangen. Für Jamal war das die Nacht, in der der Schwarze September geboren wurde, eine mythische Organisation, die keine Führer hatte, keine Struktur, kein Ziel und keinerlei Pläne, außer das berauschende und tödliche Gespenst des Terrors am Leben zu erhalten.
Kapitel 32 Beirut; Juli 1971
Während des Frühlings und des Sommers 1971 gab es von Jamal nicht das geringste Lebenszeichen. Unbemerkt schlüpfte er in Beirut ein und aus, ließ sich selten in der Öffentlichkeit blicken, mied alte Freunde aus der Fatah und änderte sogar seine Gepflogenheiten, was seine amourösen Abenteuer anbelangte. Als Zugeständnis an seine Sicherheit nahm er keine Frauen mehr mit nach Hause. Er ging mit ihnen in ihre Wohnung, in ein Hotelzimmer, einen Palast, beschlief sie und machte sich dann aus dem Staub. Diese bescheidene Einschränkung gab ihm ein Gefühl der Tugendhaftigkeit.
Jamal war unablässig auf Reisen, bei denen er Sprachkenntnisse auffrischte, die er fast vergessen hatte. Seine Pässe wiesen ihn für gewöhnlich als Algerier aus. Es waren echte algerische Pässe, die ein kooperativer Angehöriger der algerischen Botschaft in Beirut besorgte. Diesem speziellen Algerier konnte man trauen, hatte Abu Nasir gesagt, weil er noch nie von den Franzosen gefoltert worden war. Das war eine von Abu Nasirs sonderbaren Faustregeln: Traue niemals einem Mann, der einmal gefoltert worden ist, ganz gleich, ob er dabei zusammengebrochen ist oder nicht. Das Opfer einer Folter sieht die Welt in ihrem schlechtesten Licht; das gilt sowohl für sich selbst als auch für die Folterer. Er verliert etwas.
Mit seinem dunklen Haar und seinem europäischen Auftreten gab Jamal einen glaubwürdigen Algerier ab. Einmal war er Chadli bin Yahiya, dann wieder Omar Sahnoun
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