Operation Beirut
wäre ich auf die Vereinigten Staaten angewiesen, wenn ich mal Hilfe bräuchte. Und in dem Fall, mein Freund, hätte ich schon von vornherein verloren.»
Kapitel 42 London; September 1978
Levi ließ seinen Blick forschend über die Gruppe aus mehreren Dutzend Männern schweifen, die sich in einem der Korridore von Whitehall versammelt hatten; er suchte nach Rogers. Er erinnerte sich noch an ihn aus der Zeit in Beirut: hochgewachsen und schlank, im Cordsamtanzug, hatte er einen vernünftigen, selbstbeherrschten Eindruck auf Levi gemacht, so wie er über den oberen Rand seiner Brille spähte. Aber das war fast zehn Jahre her, und diese allgemeine Beschreibung schien auf die Hälfte der Männer im Korridor zuzutreffen.
Selbstverständlich trug hier niemand Namensschildchen. Es war nicht diese Art von Tagung. Allein die Tatsache, dass diese Konferenz stattfand, war ein Geheimnis. Offiziell traf man sich unter der Schirmherrschaft des britischen Foreign Office; und das in einem abhörsicheren Konferenzraum in einem der großen grauen Kästen an der Whitehall. Die Vorbereitungen für das Treffen, die Liste der Vortragenden sowie die Gästeliste waren samt und sonders von Offizieren des britischen Nachrichtendienstes, MI 6, erledigt worden.
Als Levi näher kam, servierte ein junger britischer Beamter eben Kaffee aus einer silbernen Kanne.
«Milch oder schwarz?», fragte der Beamte.
«Milch», sagte Levi. Als er die Unmengen von Milch sah, die in den Kaffee flossen, wünschte er, er hätte schwarz gesagt. Seine Hand zitterte, als er den Kaffee entgegennahm, sodass eine kleine weiße Woge über den Rand der Tasse in den Teller schwappte.
Levi war nervös. Nicht auf die gleiche Weise wie früher, als er Geheimdienstmaterial aus toten Briefkästen in Kiew oder Aleppo geholt hatte und ihm vor Angst der Schweiß die Arme hinuntergelaufen war. Das hier war etwas anderes. Es war die Angst vor dem Misserfolg. Levi hatte trotz seiner langen Laufbahn nur sehr wenige Leute selbst angeworben. Wie sollte er zu Rogers Verbindung aufnehmen? Was würde er zu ihm sagen, nachdem er ihn so viele Jahre über aus dem Schatten heraus beobachtet hatte? Es war eine Angst, wie man sie vor einer Verabredung mit einer Frau verspürt, die man noch nie gesehen hat.
Die Gespräche im Korridor drehten sich, soweit Levi dem vielsprachigen Gemurmel entnehmen konnte, um zwei jüngste Entwicklungen im Nahen Osten: das Friedensabkommen zwischen Ägypten und Israel, das zwei Wochen zuvor in Camp David unterzeichnet worden war, und die sich rasch verschlechternde Lage im Iran. Einer der Deutschen pries die kühne Diplomatie des amerikanischen Präsidenten. Ein Franzose beklagte die Schwäche des Schahs. Es hörte sich an, als handelte es sich um zwei Seiten ein und derselben Münze: die kompetente und die inkompetente Seite der amerikanischen Außenpolitik, die Seite an Seite nebeneinander hergingen.
Der junge britische Offizier hatte die Kaffeemaschine stehenlassen und läutete jetzt mit einer kleinen Messingglocke zum Beginn der ersten Sitzung dieses Vormittags. Von Rogers war noch immer nichts zu sehen. Levi schloss sich der Schlange an, die sich in den Konferenzraum bewegte. Er nahm seinen Platz am Tisch ein, der anstatt mit seinem Namensschild mit einem kleinen israelischen Fähnchen markiert war.
Ein hochgewachsener Mann im blauen Anzug betrat in ebendiesem Augenblick den Raum und nahm den mit einem amerikanischen Fähnchen markierten Platz ein. In seinem Haar zeigten sich die ersten grauen Strähnen, aber ansonsten entsprach er Levis Erinnerung. Levi versuchte ihn nicht anzustarren. Der Amerikaner lächelte, schüttelte einige Hände, studierte das Programm, kritzelte ein paar Notizen darauf. Dann starrte er, wie Levi auffiel, einen Augenblick lang in die Luft, ohne sich etwas Spezielles anzusehen, in einer Wolke von Gedanken verloren.
Der erste Vortrag kam aus dem spanischen Innenministerium und beschäftigte sich mit den Erfolgen im Kampf gegen den baskischen Terror. Welchen Erfolgen?, war Levi versucht zu fragen. Aber er sagte nichts. Für so etwas war das hier viel zu sehr eine Versammlung von Gentlemen. Der spanische Beamte war sehr ruhig und ernst. Er unterließ es, dem französischen Beamten, der ihm auf der anderen Seite gegenübersaß, die peinliche Frage zu stellen, warum Frankreich diesen baskischen Schweinen gestattete, nach Belieben die Grenze in den Pyrenäen zu überschreiten. Das wäre selbstverständlich unhöflich
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