Platzverhältnisse
eine ausgeklügeltere Klimaanlage leisteten.
Während der nächsten Stunde las sie die Berichte, die ihr Eddy in
der Zwischenzeit per E-Mail geschickt hatte. Laut der Pariser Polizei war
Sophie Besson mit einem groÃkalibrigen Gewehr unbekannter Herkunft erschossen
worden, vermutlich von einer gegenüberliegenden Wohnung im vierten Stock. Die
Obduktion hatte dies bestätigt, das Projektil war in einem Winkel von 58 Grad
in den Kopf eingedrungen, hatte das Gehirn durchschlagen und war am Unterkiefer
ausgetreten, die Fotos waren grauenhaft. Sie klopfte mit dem Stift gegen ihre
Schläfe. Ah, das war interessant: das Projektil stammte aus einer russischen 9
´ 36 mm-Patrone, eine eher exotische Wahl. Schnell wechselte sie zu ihrem
Internetbrowser und schlug die Munition bei einem Onlinelexikon nach. Es ist
schon erstaunlich, wie umfangreich die mittlerweile sind, da können selbst
unsere Datenbanken nicht mithalten, dachte sie sich, als sie die nüchterne,
aber umfassende Beschreibung las. Die Kartusche wurde vom KBP Instrument Design
Bureau entwickelt. Ihre Besonderheit war die enorme Durchschlagskraft auf
gröÃere Entfernungen trotz Unterschallgeschwindigkeit, die keinen Knall
erzeugte. Ein lautloser Killer. Die Webseite listete auch die Waffen auf, die
ein solches Magazin verwendeten:
Â
AS Val, Spezielles Automatisches
Gewehr, Codename: Der Speer
AK-9, das neueste der populären
Kalaschnikow-Reihe
OC-11 Tiss, Sturmgewehr des
russischen Innenministeriums, Prototyp-Status
OC-14 Groza, Sturmgewehr, Codename:Gewitter
SR-3 Vikhr, Kompaktes Sturmgewehr,
Codename: Wirbelwind
9A-91, Kompaktes Sturmgewehr der
russischen Polizei
VSS Vintorez, Spezielles
Scharfschützengewehr, Codename: Fadenabschneider
VSK-94, günstige Alternative zum VSS,
basierend auf 9A-91
Hm, dachte Solveigh. Von der Wohnung gegenüber sind es etwa
dreiÃig Meter. Ein Unterschallprojektil? Sie kopierte einen Teil der Webseite
in eine E-Mail und schickte ihn an Eddy und ihren ECSB-Experten für
Schusswaffen. Ihre Nachricht bestand nur aus zwei Worten: »welche waffe?« Sie
konnte sich den Luxus erlauben, sich kurz zu fassen. Es wurde sogar von ihr
erwartet, keine Zeit für Höflichkeiten zu verschwenden.
Sie hatte gerade die nächste Datei geöffnet, als ihr E-Mail-Programm
neue Post anzeigte. Wie es bei der ECSB zum guten Ton gehörte, wurde sie als
Field Agent mit ihrem Spitznamen angeschrieben:
Â
von:
[email protected] an:
[email protected] cc:
[email protected] Â
Slang,
Â
illustre Runde, die du mir da
geschickt hast. Für einen Kopfschuss aus der Entfernung kommen nur das AS Val,
die AK-9, das VSK-94 und das VSS infrage. Ich hätte das VSS genommen, es ist
das genaueste der vier. Offiziell wurde es für die Spezialeinheit Spetsnaz
entwickelt, aber eigentlich wollte der KGB ein beinahe lautloses
Scharfschützengewehr für verdeckte Operationen.
Â
nicolas
Wirklich eine exotische Wahl, vermerkte Solveigh für sich.
Vielleicht ist das ein Anhaltspunkt, an das Gewehr war selbst auf dem
Schwarzmarkt nicht ohne Weiteres heranzukommen. Zumindest würden sie die
Händler auf eine Handvoll einschränken können. Der florierende illegale Waffenhandel
war eine ihrer ergiebigsten Informationsquellen, zumal sie sich zur Regel
gemacht hatten, die kleinen Fische nicht auffliegen zu lassen. Seitdem öffneten
sich für die ECSB bisweilen Türen, die für die Polizei so verschlossen waren wie
Fort Knox.
Obwohl sie das Abendessen, das in der ersten Klasse am Platz
serviert wurde, vor nicht einmal einer halben Stunde abgelehnt hatte, verspürte
Solveigh jetzt ein Grummeln in der Magengegend. Ihr fiel auf, dass sie seit
heute Morgen noch nichts gegessen hatte. Sie näherte sich mittlerweile ihrer
zwanzigsten Stunde ohne Schlaf. Morgens der Abschluss des Flughafenprojekts in
London, danach per Hubschrauber zurück nach Amsterdam, und jetzt saà sie schon
wieder im Zug. Wenigstens hatten sie in London mit wehenden Fahnen gewonnen.
Die ECSB wurde immer öfter von Regierungschefs beauftragt, die eigenen
Sicherheitskräfte herauszufordern. Pikant war daran, dass niemand wusste, wenn
eine Ãbung angesetzt war. Es war nicht auszuschlieÃen, dass dabei einmal ein
übereifriger Wachmann auf sie schieÃen würde, aber dazu müsste er auch
schneller sein als sie. Klar war es nicht ganz ungefährlich, aber dafür