Operation Cyborg
Stunde mit Nina. Sie bringt uns den Wagen«, Tom war wieder ernsthaft. »Und dann machen wir uns auf nach Koblenz.«, fügte er entschlossen an.
»Ja, das machen wir. Packe deine Sachen zusammen. Ich bezahle das Zimmer«, sagte sie und verließ den Raum. Tom sah ihr nachdenklich hinterher. Für einen Moment überlegte er, ob er nicht lieber erst das Geld nachzählen sollte, aber dann zuckte er mit den Schultern und begann, seine Reisetasche zu packen.
*
Nina saß ungeduldig auf der Bank vor dem Klettergerüst eines kleinen, verwahrlosten Spielplatzes. Sie war alleine hier. Die Geräusche eines Cafés drangen durch das dichte Gebüsch in ihrem Rücken. Sie hatte sich wieder wie ein Geheimagent aus dem Haus geschlichen und sich an den beiden schweren Taschen fast einen Bruch gehoben. Diese Geheimhaltung war eigentlich nicht mehr nötig. Niemand Verdächtiges lungerte vor dem Haus herum. Sogar die Presse hatte mittlerweile aufgegeben und belästigte sie nicht mehr. Seit zwei Tagen gab es nichts Neues über den Amoklauf zu berichten und die Journalisten, die nicht Gefahr laufen wollten, ihre Leser zu langweilen, bemühten sich um neue Sensationen.
Sie hatte schließlich, atemlos und mit schmerzenden Schultern, Toms alten Golf erreicht, der ein paar Straßen weiter parkte und war damit das kurze Stück in Richtung Universität gefahren. Wie geplant parkte sie den Wagen in der Jordanstraße und lief dann von dort durch eine kleine Toreinfahrt in den begrünten Hinterhof eines Häuserblocks wo sich der Spielplatz befand. Hier saß sie nun schon fast 10 Minuten und wurde immer nervöser. Dann endlich erblickte sie Tom. Er kam aus dem Zugang Richtung Adalbertstraße und hatte eine Sonnenbrille auf und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Aber sie hätte ihn auch erkannt, wenn er komplett vermummt gewesen wäre. Außerdem war ihr der ausgewaschenen Kapuzenpulli bestens bekannt. Er sollte sich echt mal neu einkleiden, dachte sie noch, dann war Tom auch schon bei ihr.
»Hallo Nina«, sagte er leise.
Er war nervös und ängstlich zu diesem Treffen gegangen, weil er nicht wußte, was ihn hier erwarten würde. Und nun, wo er vor Nina stand, schlug ihm das Herz bis zum Hals hinauf. Doch Nina zerstreute augenblicklich seine Ungewissheit. Sie sprang wortlos auf und umarmte ihn so stark, daß er kaum noch Luft bekam. Nach kurzem Zögern drückte er sie auch fest an sich und so standen sie fast eine Minute, schweigend, eng umschlungen. Dann lösten sie sich wie auf Kommando voneinander und setzten sich auf die Bank. Tom nahm die Sonnenbrille ab und zog die Kapuze herunter.
»Scheiße, wie siehst du denn aus«, entfuhr es Nina, als sie sein blaues Auge und die vielen Kratzer im Gesicht sah.
»Tja, so sieht man aus, wenn die Maschinen hinter einem her sind«, sagte er und grinste schief.
»Ich kann darüber nicht lachen«, entgegnete Nina.
»Ja, du hast recht«, sagte er und wurde wieder ernst.
»Ich weiß ja, daß du nichts sagen willst, oder kannst oder darfst; aber ich bin immer noch skeptisch, ob dein Plan so gut ist. Als tot zu gelten und unterzutauchen, finde ich ganz schön krass«, sagte Nina.
»Ich würde es dir wirklich gerne genauer erklären«, erwiderte Tom ehrlich. »Aber das geht im Moment einfach nicht. Die Dinge sind sehr kompliziert. Aber ich muß tun, was ich tun muß. Und ich kann leider auch nicht lange hier bleiben.«
»Willst du den Zweitschlüssel an dich nehmen?«, fragte Nina traurig und hielt Tom einen Autoschlüssel entgegen.
»Behalte ihn ruhig. Wer weiß, vielleicht ist es gut, wenn ein Schlüssel bei dir bleibt«, sagte Tom. Dann schwiegen beide einen Moment.
»Ich werde die WG auflösen«, sagte Nina schließlich und blickte auf das Klettergerüst vor ihnen.
»Das kann ich verstehen, nach allem was dort passiert ist«, sagte Tom traurig.
»Das ist es gar nicht mal«, entgegnete Nina. »Weißt du, wenn das ganze auch etwas Gutes hat, dann daß ich mich mit meiner Mutter ausgesprochen haben. Selbst mein Stiefvater ist gar nicht so übel. Du glaubst gar nicht, wie rührend die sich um mich kümmern. Sogar meine Halbgeschwister haben sich redlich bemüht. Ich werde erst einmal zu meiner Mutter ziehen. Es gibt vieles, was ich mit ihr aufarbeiten muß – und auch möchte!«
»Das klingt gut, Nina«, sagte Tom. Er spürte eine leichte Verbitterung darüber, daß er diesen Lebensabschnitt von Nina kaum noch mitbekommen würde. Er wußte wie sehr sie der Streit mit ihrer Mutter all die Jahre
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