Operation Overkill
Belanglosigkeiten, als sie zur amerikanischen Botschaft fuhren, die an der Avenue Gabriel Nummer zwei lag, unweit der Avenue des Champs-Elysées. Westwood war zwar schon dreimal in Frankreich gewesen, einmal beruflich und zweimal als Tourist, aber noch nie in Paris. Deshalb blickte er gespannt durch die getönten Scheiben auf das Ge-tümmel der Großstadt.
Für einen Amerikaner, der zwar dichten Verkehr, aber im Allgemeinen ruhiges und geregeltes Fahren gewöhnt war, waren die französischen Fahrgewohn-heiten erschreckend – beinahe tödlich aggressiv. Die Autos wechselten ohne jede Vorwarnung jäh die Spur, die Fahrer gestikulierten wie wild und hupten einander an, und die wenigen Fußgänger, die die Straße überquerten, rannten buchstäblich um ihr Leben.
»Geht es hier immer so zu?«, fragte Westwood den Diplomaten.
Der junge Mann lächelte und schüttelte den Kopf.
»Nein, Sir. Jetzt ist Nachmittag und außerdem Wochenende – es ist ruhig und friedlich. Wenn Sie den Verkehr mal erleben wollen, wenn hier wirklich was 444
los ist, müssen Sie bis nächsten Freitag bleiben und gegen halb sechs zum Arc de Triomphe gehen.«
»Mein Gott«, murmelte Westwood.
An der Botschaft angekommen, wurde er durch die Sicherheitspforte an der Rückseite des Gebäudes ge-führt und zu einer Gästesuite gebracht. Er packte gerade seinen Koffer aus, als es leise an der Tür klopfte.
»Herein«, rief er und wandte sich vom Kleiderschrank ab.
Ein kleiner, grauhaariger Mann mit einer randlosen Brille öffnete die Tür und trat ins Zimmer. »Miles Turner«, stellte er sich vor. »Ich bin der Stationschef.«
»John Westwood. Freut mich, Sie kennen zu lernen«, erwiderte Westwood, der ihm mit langen Schritten entgegenging und ihm die Hand schüttelte.
»Ich weiß, warum Sie hier sind, John«, sagte Turner.
»Ich habe gestern Nachmittag von Roger Abrahams eine geheime Nachricht erhalten. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Sie die Reise nicht umsonst gemacht haben. Die Franzosen sind verdammt kratzbürstig, was Spionage angeht. Selbst wenn sie einen Agenten haben sollten, der als Kammerdiener beim Leiter des SWR arbeitet, bezweifle ich, dass sie Ihnen verraten würden, welche Farbe seine Hosen haben.« Westwood schnaubte. »Trotzdem werden wir unser Möglichstes tun«, fuhr Turner fort. »Ich habe für Montag-nachmittag ein Treffen mit der DGSE vereinbart.«
»Helfen Sie mir auf die Sprünge«, sagte Westwood.
»Die DGSE ist die Direction Générale de Sécurité Extérieure«,erklärte Turner. »Bis zur Wahl Mitter-445
rands im Jahr 1981 hieß sie ›Service de Documentation Extérieure et de Contre-Espionnage‹ oder ›SDECE‹.
Die sind nicht nur ausgesprochen voreingenommen und zugeknöpft gegenüber jedem, der kein Franzose ist, sondern sie haben auch schon manch Aufsehen er-regenden Pfusch gebaut, zum Beispiel, als sie vor ein paar Jahren in neuseeländischen Hoheitsgewässern das Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior versenkt haben. In letzter Zeit ist es ziemlich ruhig um die DGSE
gewesen, was bedeuten könnte, dass sie irgendetwas vorhaben. Oder vielleicht auch nicht«, fügte er nach kurzer Pause hinzu.
Ickenham, Middlesex
»Tut mir Leid, dass ich euch zur Last falle, Kate«, sagte Richter, als Bentleys Frau mit zwei prallvollen Ein-kaufstüten in die Küche kam.
Sie stellte die Tüten auf die Arbeitsplatte und packte Lebensmittel aus. »Du fällst uns nicht zur Last, Paul«, erwiderte sie und warf ihm mit ihren dunklen Augen einen funkelnden Blick zu. »Du bist ein Freund, und wir freuen uns, wenn wir dir helfen können. Aber du bist auch gefährlich – na ja, nicht du persönlich, aber die Arbeit, die du machst, und die Leute, mit denen du zu tun hast. Darüber mache ich mir Sorgen.«
»Ich weiß«, sagte Richter. »Und deshalb verschwinde ich auch so bald wie möglich. Vielleicht schon morgen, aber spätestens am Dienstag.«
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»Du musst nicht gehen, wenn du noch nicht so weit bist, Paul«, sagte Kate, aber Richter hörte ihr am Tonfall an, wie sehr sie darüber erleichtert war, dass er sie in absehbarer Zeit wieder verlassen wollte.
Nach dem Essen war Kate in der Küche beschäftigt.
Richter legte David Bentley dar, was er am nächsten Morgen vorhatte und worum er ihn bitten musste.
»Das kommt mir verdammt kompliziert vor«, sagte Bentley, als Richter fertig war.
»Es ist verdammt kompliziert«, erwiderte Richter.
»Aber ich muss sichergehen, dass der Mann, mit dem ich mich treffen will, vorher
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