Operation Overkill
Kaffee. Bentley goss ihm eine zweite Tasse ein und reichte sie ihm.
»Was hast du vor?«, fragte er.
»Wenn du nichts dagegen hast«, sagte Richter, 437
»möchte ich zunächst mal den Kaffee austrinken und mich danach eine Weile in die Wanne legen. Hinterher sage ich dir Bescheid, wie’s weitergeht. Immer vorausgesetzt«, fügte er hinzu, »dass mir bis dahin etwas eingefallen ist.«
Richter betrachtete sich in dem hohen Spiegel, bevor er in die Wanne stieg. Der Anblick war alles andere als angenehm. Die Schmerzen hatten zwar nachgelassen, aber die Blutergüsse sahen eher noch schlimmer aus als letzte Nacht – er war buchstäblich von Kopf bis Fuß grün und blau. Er nahm die Verbände ab und musterte sein Gesicht. Es sah grauenhaft aus, verquollen und voller roter Striemen, die vermutlich von den Schlägen stammten, die Juri ihm mit dem nassen Handtuch verpasst hatte – dazu jede Menge Blutergüsse und blaue Flecken aus der ersten Stufe des Verhörs. Allem Anschein nach waren wenigstens seine Zähne heil geblieben, und er hatte offenbar keine inneren Verletzungen davongetragen. Auf eine Ra-sur musste er in nächster Zeit allerdings verzichten.
Richter lag in der Wanne und spürte, wie das heiße Wasser seine Schmerzen allmählich linderte, trank seinen Kaffee und dachte nach. Er musste unbedingt mit Simpson sprechen, unter vier Augen, so bald wie möglich. Simpson hatte ihm letzte Nacht mitgeteilt, dass er den ganzen Tag über in Hammersmith zu erreichen sei. Richter wollte sich so weit wie möglich bedeckt halten, was wiederum hieß, dass er sich in Hammersmith nicht blicken lassen durfte, denn dort hatte der Feind garantiert Beobachtungsposten aufge-438
stellt. Und selbst wenn er unbehelligt in das Gebäude gelangte, lag garantiert ein Scharfschütze auf der Lauer, wenn er wieder herauskam.
Folglich musste er sich irgendwo mit ihm treffen, auf neutralem Boden. Aber er wollte ihn auf keinen Fall anrufen. Womöglich hatte man nicht nur seinen Privatanschluss angezapft, sondern auch die eine oder andere Leitung in Hammersmith verwanzt. Folglich musste sich Richter auf irgendeine andere Weise mit Simpson in Verbindung setzen.
Richter zog sich einen blauen Morgenmantel über, den er im Kleiderschrank in seinem Schlafzimmer fand, und stieg langsam und vorsichtig die Treppe hinunter. Bentley, der in einem Sessel saß und den Daily Telegraph las, blickte auf, als Richter ins Wohnzimmer kam. »Wo ist Kate?«, fragte Richter.
»Die Wochenendkäufe erledigen«, erwiderte Bentley knapp. »Normalerweise gehe ich mit, aber da du hier bist …«
»Ist es ihr recht?«, fragte Richter.
Bentley nickte. »Ja, geht schon klar. Aber da sie weiß, was du beruflich machst, ist sie nicht gerade begeistert davon, dass du hier bist. Das ist alles.«
»Wenn ich irgendwo anders hin könnte, würde ich mich auf der Stelle verziehen, David. Ich möchte dir und Kate auf keinen Fall zur Last fallen.«
»Ist schon gut, Paul. Nur die Ruhe. Aber achte um Himmels willen darauf, dass sie die Knarre nicht sieht. Du weißt ja, was sie von Waffen jedweder Art hält.«
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»Schon klar. Ich habe sie oben in meinem Rucksack verstaut.«
»Gut. Möchtest du noch eine Tasse Kaffee?«
»Nichts dagegen«, sagte Richter. »Hast du vielleicht ein Blatt Papier und einen Briefumschlag? Ich muss jemandem eine Nachricht zukommen lassen.«
Bentley deutete auf den Schreibtisch mit dem Roll-ladenaufsatz, der in der anderen Ecke stand. »Bedien dich«, sagte er und ging in die Küche.
Richter dachte eine Zeit lang nach, ehe er seine Nachricht aufsetzte. Er schrieb sie mit der Hand, damit man sie mit den in Hammersmith vorliegenden Schriftproben vergleichen konnte, und versah sie mit der Überschrift »TESTAMENT«, weil er wusste, dass Simpson sofort darauf anspringen würde. »TESTAMENT« war ein Codewort, das nur gebraucht wurde, wenn der Absender der Nachricht über Erkenntnisse verfügte, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit darauf hindeuteten, dass es zu einem schweren Konflikt zwischen den Großmächten kommen könnte, wie man es von Seiten des Verteidigungsministeriums vielleicht formulieren würde –
kurzum zu einem Krieg. Soweit Richter wusste, war dieser Code beim FOE bislang noch nie benutzt worden. Aber in diesem Fall war er seiner Meinung nach gerechtfertigt.
Richter las die Nachricht ein paar Mal durch und überzeugte sich davon, dass er sich klar und deutlich ausgedrückt hatte. Dann klebte er den Umschlag zu und
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