Operation Romanow

Uhr fuhr Boyle an diesem Nachmittag in dem Packard den schlammigen Weg hinunter. Der Flugplatz hatte einst zu einer mittlerweile verfallenen Farm gehört. Vor einem riesigen Kuhstall, der zu einem Hangar umgebaut worden war, hielt Boyle an. Das grün gestrichene Wellblechtor war geschlossen. Davor standen mehrere Autos und offene Lastwagen mit Planen.
    Ein stämmiger, energischer Mann Ende zwanzig mit einem auffälligen Zweifingerbart stand vor dem Hangar. Er trug eine Brille und eine senffarbene Arbeitsjacke. In einer Hand hielt er eine Taschenuhr, in der anderen eine Tasse heißen Tee. »Sie kommen sechs Stunden zu spät, Boyle«, sagte er ungeduldig auf Russisch. »Was zum Teufel hat Sie aufgehalten?«
    »Eine Privatangelegenheit in London«, erwiderte Boyle. »Wie geht es Ihnen, Igor? Ich hoffe, gut.«
    Der Mann steckte die Uhr ein. »Es würde mir noch besser gehen, wenn Sie pünktlich gewesen wären!« Mit einem charmanten Lächeln drehte er sich zu Andrew und Lydia um. Er küsste Lydia so selbstverständlich die Hand, als wäre sie eine gute alte Bekannte. »Meine Liebe, Sie müssen diesem Mann beibringen, Verabredungen einzuhalten. Pünktlichkeit ist eine Tugend, an der es ihm mitunter mangelt. Sie sind also unsere Gäste?«
    »Igor Sikorski. Juri und Lydia.« Boyle stellte die drei einander vor.
    Sikorski reichte Andrew die Hand. »Ich freue mich.«
    » Der Igor Sikorski?«, fragte Andrew erstaunt. »Der berühmte Flugzeugkonstrukteur?«
    »Ja, genau der.«
    »Es gab Gerüchte, die Roten hätten Sie erschossen.«
    »Ich entkam ihnen nur mit knapper Not. Wenn einige meiner Freunde nur auch so viel Glück gehabt hätten. Offenbar landet heutzutage jeder, der Lenin infrage stellt, vor einem Erschießungskommando.« Er schüttete den Rest Tee auf den Rasen. »Drinnen habe ich frischen. Aber zuerst zeige ich Ihnen das Ungetüm, das Sie in die Hölle fliegen wird.«
    Schon im zarten Alter von zwölf Jahren galt Igor Iwanowitsch Sikorski, der gerade seinen ersten Spielzeughubschrauber konstruiert und mit einem Gummiband in die Luft geschossen hatte, als Genie.
    Igor wurde 1889 in Kiew geboren. Sein Vater, ein Psychologieprofessor, und seine Mutter, eine anerkannte Ärztin, vermittelten ihrem Sohn von frühester Kindheit an die Liebe zur Kunst, vor allem für die Werke von Leonardo da Vinci und Jules Verne. Kein Wunder, dass die Leidenschaft des Jungen fürs Fliegen entbrannte und er eine Karriere in der Luftfahrt anstrebte. Kaum zehn Jahre nach dem Flug der Gebrüder Wright in Kitty Hawk hatte Sikorski mit gerade einmal dreiundzwanzig Jahren das erste Langstrecken-Transportflugzeug der Welt konstruiert.
    Die viermotorige, nach einem russischen Volkshelden benannte Ilja Muromez war ein stabiles Flugzeug, das bis zu sechzehn Passagiere transportieren und mit einer Geschwindigkeit von über hundert Kilometern pro Stunde fliegen konnte. Als der Krieg begann, wurde Sikorskis geliebtes Transportflugzeug mit neun Maschinengewehren und einer schweren Bombenladung ausgerüstet und in einen Luftbomber verwandelt.
    Ironischerweise waren es die Russen, die während des Krieges über eine stark unterlegene Flugstreitkraft verfügten und nun eines der revolutionärsten und modernsten Flugzeuge der damaligen Zeit besaßen.
    Als Sikorski Boyle und die anderen in den Hangar führte, bot sich ihnen ein erstaunlicher Anblick: Mitten in der Halle stand ein riesiger hellgrüner Doppeldecker mit einer langen, zigarrenförmigen Kabine und vier starken Motoren. Er verfügte über mindestens acht strategisch günstig positionierte Lewis-Maschinengewehre.
    »Sagen Sie der Ilja Muromez guten Tag«, scherzte Sikorski. »Oder der S-23V, wenn es Ihnen lieber ist. Sie ist zwanzig Meter lang und hat eine Flügelspanne von über dreißig Metern. Sie stehen vor der Zukunft der Luftfahrt, Herrschaften.«
    Es sah anders aus als jedes andere Flugzeug, das sie jemals gesehen hatten. Als sie es mit weit aufgerissenen Augen umrundeten, rief Boyle: »Meine Güte, Igor, das ist es also?! Ich habe Fotos in der Zeitung gesehen, aber sie werden dem Flugzeug nicht gerecht!«
    In dem Hangar arbeiteten ein halbes Dutzend Mechaniker in schmierigen Overalls. Sikorski führte sie zu einer kleinen Trittleiter und gab Boyle und den anderen ein Zeichen, ihm in die geräumige Kabine zu folgen.
    »Bei diesem Modell wurden einige Veränderungen vorgenommen. Trotz der Maschinengewehre blieben viele der ursprünglichen Annehmlichkeiten für die Passagiere erhalten. Die