Operation Romanow
warten. Zu viele wichtige Aufgaben.«
»Das verstehe ich, doch Sie müssen mir glauben. Ich bin ausgebildete Krankenschwester. Wenn Sie zu schnell aufstehen, könnte Ihre Wunde aufgehen und sich erneut infizieren. Dann könnten Sie sterben.« Schwester Agnes zog das Betttuch zurück und schnitt Sorgs Verband mit einer Schere auf. »Möchten Sie etwas essen?«
»Ich sterbe vor Hunger!«
Schwester Agnes tauchte den Kräuterumschlag in das kochend heiße Wasser. »Das ist ein gutes Zeichen. Ich lasse Ihnen etwas Brühe und frischgebackenes Brot bringen. Wir hatten alle Hände voll zu tun. Nach den brutalen Gefechten zwischen den Weißen und Roten in den vergangenen Tagen ist das Hospital mit Kranken und Sterbenden überfüllt. Beugen Sie sich bitte vor. Es könnte wehtun.«
Schwester Agnes drückte den heißen Umschlag behutsam, aber fest auf Sorgs Wunde. Als die Hitze in die Wunde drang, biss er die Zähne zusammen. Seltsamerweise schien das Pochen nachzulassen. »Könnten Sie mir etwas besorgen?«
»Was?«
»Laudanum.«
Die Nonne verzog keine Miene. »Das nehmen viele, die in den Schützengräben gekämpft haben. Sind Sie auch auf diesem Weg dazu gekommen?«
»Ja, so ähnlich.«
»Es tut mir leid, aber wir haben kein Laudanum hier, und in der gegenwärtigen Situation wird es kaum irgendwo aufzutreiben sein. Die Roten haben in der letzten Woche unsere Vorräte an medizinischem Material geplündert. Wir haben kaum noch etwas. Vielleicht kann ich Kaffee und Zigaretten besorgen.«
»Das wäre nett.«
Als sich die Nonne erhob, ergriff Sorg ihren Arm. »Bitte, sagen Sie mir, wie es der Familie geht?«
Die Nonne befreite sich behutsam aus seinem Griff und strich ihm über die Hand. »Ruhen Sie sich aus. Schlafen Sie, so lange Sie können. Dann sprechen wir über alles.«
53. KAPITEL
London
Es war kurz nach zwölf an diesem Nachmittag, als Boyle die Stufen der St. Andrew’s Privatklinik hinaufstieg. Seine Kleidung war zerknittert, und er sah aus, als hätte er kaum geschlafen.
Er hastete zur Station und nickte dem uniformierten Polizeibeamten auf dem Gang zu, worauf er die Tür zu einem Einzelzimmer öffnete. Botschafter Walter Hines Page stand mit besorgter Miene am Krankenbett.
Boyles Herzschlag setzte aus, als sein Blick auf Hanna fiel, die bewusstlos in dem Bett lag.
Fast ihr ganzer Körper war mit Verbänden umwickelt. Ihre Beine und Hüften lagen in einer sonderbaren Metallkonstruktion. Ihr Gesicht war von blauen Flecken übersät, und sogar die geschwollenen Augenlider hatten sich bläulich verfärbt.
»Sie hat innere Verletzungen erlitten und viel Blut verloren. Zahlreiche Knochen sind gebrochen. Die Ärzte glauben, dass sie möglicherweise nicht überleben wird.«
Boyles Augen brannten. Sein Gesicht war aschfahl. »Wer hat das getan, Walter?«
»Die Polizei hat weder den Lieferwagen noch den Fahrer ermitteln können. Laut Aussage einer Zeugin hatte der Mann slawische Gesichtszüge und soll gegrinst haben, als er sie überfahren hat. Ich bin überzeugt, dass das der lange Arm unserer russischen Freunde war.«
Boyle strich behutsam über Hannas Finger. »Warum?«, krächzte er.
»Die richtige Frage muss sicherlich lauten: warum zu diesem Zeitpunkt? Ich habe das Gefühl, wir stecken in großen Schwierigkeiten. Dass sie versucht haben, Hanna jetzt zu töten, bedeutet, dass sie beobachtet wurde. Und wenn sie beobachtet wurde, dann stellt sich die Frage, was unser Gegner sonst noch gesehen hat oder sich zusammenreimen kann.«
Boyle bebte vor Wut und hatte Mühe, die Fassung zu bewahren. Als er den Anblick der Schwerverletzten nicht mehr ertrug, wandte er sich ab.
Page legte eine Hand auf seine Schulter. »Ich finde, wir sollten die Sache abblasen, Joe. Wenn unser Plan verraten wurde, könnten Sie alle in eine Todesfalle tappen.«
»Nur über meine Leiche, Walter!«
Boyle eilte die Stufen des Krankenhauses hinunter und stieg in einen grauen Packard, der mit laufendem Motor an der Bordsteinkante wartete. Andrew saß auf dem Beifahrersitz.
»Wie geht es ihr?«, fragte Lydia, die auf der Rückbank saß.
»Nicht gut, fürchte ich«, erwiderte Boyle mit grimmiger Miene und roten Augen. »Aber durch den Anschlag ändert sich nichts. Wir halten an unserem Plan fest.«
Er schaltete in den ersten Gang und fuhr los.
54. KAPITEL
In der Nähe von Southend-on-Sea
Der Übungsflugplatz aus dem Krieg lag sechzig Meilen von London entfernt und wurde seit Beginn des Frühlings nicht mehr benutzt.
Gegen vier
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