Operation Romanow
Ilja wurde ursprünglich für den Zaren konstruiert, doch er liebte Schiffe und fand nie Gefallen am Fliegen. Mit vier V-8-Sunbeam-Crusader-Motoren, einer Schlafkabine, einer Heizung, elektrischem Licht, einer Lounge und der ersten Lufttoilette der Welt verfügt sie über den größten Komfort der modernen Luftfahrt.«
»Sie machen Scherze!«, sagte Lydia.
»Ich mache niemals Scherze, wenn es um meine Erfindungen geht«, erwiderte Sikorski nüchtern. »Mir gefällt der Gedanke, dass die Ilja eine Art Hotel mit Flügeln ist. Glauben Sie mir, in den nächsten zwanzig Jahren wird jeder in so einer Maschine fliegen. Wenn der Krieg nicht ausgebrochen wäre, hätten wir schon 1914 mit Passagierflügen begonnen. Ziehen Sie die Köpfe ein.«
Sie betraten eine geräumige Kabine. Das Cockpit bot mehrere Stehplätze für Passagiere, um den Piloten bei der Arbeit zu beobachten. Doch besonders beeindruckend war die Lounge mit einem Korbtisch und Stühlen. Im Heck des Flugzeuges befand sich eine kleine Kabine mit zwei schmalen Schlafnischen und elektrischem Oberlicht. Eine Tür führte zu einem Waschraum mit Toilette.
»Unglaublich«, stieß Boyle aus. »So etwas habe ich noch nie gesehen! Sieht aus wie aus einem Roman von Jules Verne. Und das Ding fliegt tatsächlich?«
Sikorski schien die Frage ein wenig zu kränken. Er schob die Hände in die Jackentaschen. »Es bricht tatsächlich den Weltrekord für den längsten aufgezeichneten Flug von über dreitausend Kilometern in weniger als sechsundzwanzig Stunden von Sankt Petersburg nach Kiew und zurück, mit zwei Zwischenlandungen, um die Maschine aufzutanken. Das war im Juni 1914. Seitdem haben wir beträchtliche Fortschritte gemacht. Wir haben die Motorleistung verbessert und können entferntere Ziele anfliegen.«
»Wie sieht es mit der Besatzung aus?«
»Normalerweise haben wir einen Mechaniker an Bord, den Piloten und acht Maschinengewehrschützen, also insgesamt zehn Mann. Auf Ihrem Flug nehmen wir nur zwei Piloten und einen Mechaniker mit. Dadurch sparen wir Gewicht.«
Boyle sah sich in der Kabine um und schüttelte den Kopf. »Wirklich unglaublich, Igor!«
Sikorski schlug mit der Hand gegen die Wand des Flugzeugs. »Ich habe achtzig von diesen Prachtstücken gebaut. Vier haben wir aus Russland herausgeflogen, ehe die Roten sie beschlagnahmen konnten.«
Als sie staunend dort standen und die Kabine bewunderten, sagte Sikorski zu Boyle: »Ich nehme an, Sie werden mir nicht verraten, was Sie alle im Schilde führen, oder? Soll ich einfach Ihren Anweisungen folgen und das Flugzeug zur Verfügung stellen?«
»Es tut mir leid, aber leider muss der Auftrag unser Geheimnis bleiben, Igor.«
»Kein Problem.« Sikorski zwinkerte ihm zu und zeigte auf die Trittleiter. »Kommen Sie mit in mein Büro. Dort können wir über unsere Flugroute sprechen. Dann kläre ich Sie auch gleich über die Risiken auf, die Sie während des Fluges eingehen.«
55. KAPITEL
In der Nähe von Southend-on-Sea
Sie betraten ein Büro mit Glasfenstern im hinteren Teil des Hangars. Sikorski goss frisch aufgebrühten Tee in große Tassen und reichte sie seinen Besuchern. In seine Tasse gab er ein paar Löffel Zucker. »Bedienen Sie sich. Hat noch jemand Fragen, bevor ich beginne?«
»Glauben Sie wirklich, wir können unser Ziel erreichen, Igor?«
Bevor Sikorski Boyle antwortete, ging er auf die Wand zu, an der eine Karte von Europa und dem größten Teil Russlands hing. Er schlug mit seiner großen, kräftigen Hand darauf. »Ich wüsste nicht, was uns davon abhalten sollte. Wenn wir die Ilja zwischendurch auftanken, ist sie in der Lage, diese Entfernung zurückzulegen. Es sollte also kein Problem sein.« Sikorski zupfte an seinem Schnurrbart. »Die große Unbekannte ist das Wetter. Heute Morgen wurde gutes Wetter mit starken Westwinden vorhergesagt, aber man weiß ja nie. Das kann sich schnell ändern. Ich würde lügen, wenn ich behauptete, dass es da oben nicht auch mal turbulent zugeht. Wenn wir vorsichtig sind, sollte es möglich sein, richtig schlechtem Wetter auszuweichen.«
»Sonst noch etwas, was wir wissen müssen?«, fragte Boyle und trank einen Schluck Tee.
»Die schlechte Nachricht ist, dass die kaiserliche deutsche Luftsicherung außerhalb von Sankt Petersburg noch immer Aufklärungsflüge vor ihren Linien durchführt. Aber vielleicht beruhigt es Sie, dass diese Flugzeuge der Ilja normalerweise ausweichen. Wegen der acht Maschinengewehre, die dieses Flugzeug zu einem ernsten Gegner
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