Operation Romanow
aufheulte.
»Das ist das Signal für die Sperrstunde, die um acht Uhr abends beginnt. Mein Sohn bringt Ihnen etwas zu essen. Sie müssen sterben vor Hunger. Schwester Agnes meinte, dass Sie das hier brauchen.«
Markow zog ein paar zusammengefaltete Blätter aus der Jackentasche und reichte sie Sorg. »Detaillierte Zeichnungen des Ipatjew-Hauses.«
Sorg nahm sie ungeduldig entgegen. Die Sirene verstummte wieder.
Der Leichenbestatter schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, diese Zeichnungen werden uns nicht helfen. Das kann nur Georg Wilhelm de Gennin.«
»Wer?«
Markow blies den Rauch aus, ging zu einem Schrank und nahm ein paar zusammengerollte Pergamente heraus, die im Laufe der Jahre gelbliche Flecken bekommen hatten.
»Einer der Gründer von Jekaterinburg. Die Stadt entstand 1723 als Festung, die Planung leitete de Gennin. Er war Angehöriger des Militärs und Festungsbaumeister. Er bestand darauf, dass zahlreiche geheime Tunnel gebaut wurden, die im Falle einer Belagerung als Fluchtwege dienen sollten.«
»Das müssen Sie mir genauer erklären.«
Markow reichte Sorg die Pergamentrollen. »Die Tunnel gibt es noch heute. Einige verlaufen tief unterhalb der Straßen, kreuz und quer unter Kathedralen und Kirchen und führen zum Fluss. Der Aufenthalt in einigen Tunneln ist lebensgefährlich, weil die Mauern eingestürzt oder die Schächte überflutet sind. Einige wurden zugemauert, aber andere sind begehbar. Die Roten wissen, dass es Tunnel unter der Stadt gibt, doch sie können unmöglich alle kennen. Der Bruderschaft liegen die vollständigen Originalpläne der Festung vor. Sie müssen sich die wichtigsten Gänge ansehen, sobald Sie wieder richtig laufen können. Vor allem die Tunnel, die ich markiert habe.«
Sorgs Herz zog sich in seiner Brust zusammen, als er die Pergamente entrollte. Er betrachtete die sorgfältig mit Tinte und Bleistift angefertigten jahrhundertealten Zeichnungen. »Das war aber noch nicht alles, oder?«
»Wir kennen einen Weg, um die Familie sicher aus ihrem Gefängnis zu befreien.«
»Erklären Sie mir das bitte.«
»Ein Flügel des unteren Teils des Ipatjew-Hauses ist in einen massiven Granithügel hineingebaut. Ich habe auf den Zeichnungen einen Tunnel markiert, der durch den Felsen in einen Kellerraum führt, in dem derzeit Möbel gelagert werden.«
»Und das wissen Sie genau?«
»Hundertprozentig. Ich bin schon einmal in dem Tunnel gewesen. Er beginnt im Osten der Stadt und kann durch die Wosnessenski-Kathedrale oder durch einen Torbogen östlich des Stadtteiches betreten werden. Der Tunnel unter dem Haus war zugemauert, aber ich habe mitgeholfen, die Mauer einzureißen, damit er wieder begehbar ist.«
Sorg geriet in Erregung. »Das möchte ich mir ansehen!«
»Wann?«
»Heute Nacht.«
»Sie sind verrückt. Sie müssen sich auskurieren!«
»Ich kann gehen. Und wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Markow schien zu zögern. »Was ist mit der Sperrstunde? Jeder, der sich nach der Sperrstunde ohne Genehmigung herumtreibt, läuft Gefahr, erschossen zu werden.«
»Sie sind Leichenbestatter. Haben Sie keine Genehmigung?«
»Doch, habe ich. Die Roten brauchen mich, damit ich die Typhus-Opfer Tag und Nacht abhole, um die Gesundheit der Stadtbewohner nicht zu gefährden. Wir würden dennoch ein großes Risiko eingehen. Die ganze Garnison von Jekaterinburg ist auf der Suche nach Ihnen.«
»Spannen Sie die Pferde vor den Leichenwagen! Ich habe eine Idee.«
72. KAPITEL
Moskau
Am Ende des Kolinsky-Prospekts hielt die Straßenbahn mit quietschenden Rädern an, Andrew und Lydia stiegen aus. Nach einem kurzen Fußweg erreichten sie die hässliche Mietskaserne, in der Nina und Sergej wohnten. Sobald eine Straßenbahn durch die belebte Straße fuhr, sprühten Funken von den Oberleitungen. Passanten mit müden Gesichtern gingen auf dem Weg nach Hause an ihnen vorbei.
Andrew trug seinen Seesack über der Schulter und die Segeltuchtasche mit dem Werkzeug in der Hand. »Hak dich bei mir ein, damit es so aussieht, als gingen wir von der Arbeit nach Hause«, raunte er Lydia zu, als sie sich dem Haus näherten.
Sie schlenderten an einem Tabakkiosk und an einem Schuhputzer mit sonnengebräunter Haut vorbei, der auf einer Treppe saß. Vermutlich stammte er aus Georgien oder Armenien. Wie die meisten Schuhputzer in Moskau, die man an fast allen Straßenecken fand, hatte er keine Politur, sondern spuckte auf die Schuhe der Kunden und bürstete so lange, bis das Leder glänzte.
»Glaubst du
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