Operation Romanow
wirklich, die Tscheka beobachtet Nina?«, fragte Lydia, als sie weitergingen.
»Nach der Konfrontation beim letzten Mal ist das mehr als wahrscheinlich. Sieh dich nicht um! Der Schuhputzer gehört garantiert auch zur Tscheka oder wird zumindest von ihnen bezahlt, um ein Auge auf alle zu haben, die das Haus betreten und verlassen. Der Mann in dem Tabakkiosk auch, und sie werden nicht die Einzigen sein.«
Sie gelangten zu einem Park. Er lag ein Stück weit von der Mietskaserne entfernt, das Haus war aber noch immer in Sichtweite. Sie setzten sich auf eine Bank. Ein paar Kinder vergnügten sich damit, die halb verhungerten Tauben zu verscheuchen, während erschöpfte Arbeiter auf Fahrrädern oder zu Fuß in ihre Baracken zurückkehrten.
»Was hast du vor?«, fragte Lydia.
Juri Andrew öffnete den Seesack, zog seine Lederjacke aus und stopfte sie hinein. Er trug das Arbeitshemd und die Mütze eines Bauern. Mit der Werkzeugtasche in der Hand sah er aus wie ein Handwerker. »Ich versuche, den Hintereingang und Ninas Wohnung zu finden. Es könnte eine Weile dauern.«
»Und wenn die Tscheka im Haus wartet?«
Andrew zog den Nagant-Revolver aus der Tasche und steckte ihn in die Werkzeugtasche. »Darüber mache ich mir Gedanken, wenn es so weit ist. Wenn jemand fragt, ich bin hier, um die Wasserleitung zu reparieren. Sollte das nicht funktionieren, muss ich auf meinen anderen Plan zurückgreifen.«
»Und der wäre?«
»Mir den Weg freischießen.«
»Bringst du dadurch nicht Nina und deinen Sohn in Gefahr?«
»Ja, und das macht mir auch Sorgen.«
»Möchtest du, dass ich dich begleite?«
»Nein, es ist besser, wenn ich alleine gehe. Falls du Schüsse hörst, kehre so schnell wie möglich zu unserer Herberge zurück und warte da auf mich, bis ich wiederkomme.«
Lydia strich ihm mit besorgtem Blick über die Hand. »Sei vorsichtig, Juri. Bitte.«
Andrew lächelte sie an, doch die Anspannung stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Vergiss nicht: Beim geringsten Anzeichen von Ärger haust du hier ab!«
Um fünf Uhr an diesem Nachmittag war Abraham Tarku bereits betrunken. Er kippte noch ein Glas Wodka herunter und starrte mit glasigen Augen auf die Remington-Schreibmaschine.
»Warum in Gottes Namen musstest du zurückkehren, Juri? Warum?« , sagte er laut und schmetterte das Glas gegen die Wand, sodass es zerbrach.
Tarku stand mühsam auf, verließ das Pfandleihgeschäft durch die Vordertür und schloss sie ab. Dann taumelte er auf die Straße.
Ein paar Minuten später sah er eine leere Droschke, die in seine Richtung fuhr. Er winkte den Droschkenkutscher herbei.
»Wohin, Bürger?«
»Zum Tscheka-Hauptquartier. So schnell wie möglich.«
73. KAPITEL
Moskau
Eine Mauer umgab das Gelände, auf dem die Mietskasernen standen. An ihrer Rückseite führte ein Weg entlang. Andrew zählte die Häuser ab.
Als er sich der Baracke näherte, in der er Nina vermutete, fiel ihm ein dünner Mann mit Menjou-Bärtchen und unstetem Blick auf, der auf einer Mauer saß und Zeitung las. Der Mann war ohne Zweifel von der Tscheka und beobachtete die Hintertür der Kaserne. Andrew versteckte sich in einem Türvorsprung in der Mauer, um nicht gesehen zu werden. Die verrottete Tür hing nur noch lose in den Angeln und war einen Spaltbreit geöffnet. Andrew quetschte sich an der Tür vorbei und gelangte auf einen Hinterhof.
Er lief durch das hohe Unkraut und spähte über die Mauer in den nächsten Hinterhof. Wenn es ihm gelang, darüberzuklettern, müsste er Ninas Haus erreichen können, ohne dass der Mann ihn bemerkte.
Andrew hängte sich die Werkzeugtasche über die Schulter, zog sich an der Steinwand hoch und rutschte auf der anderen Seite wieder hinunter. Gebückt durchquerte er den heruntergekommenen Hof und spähte über die nächste Mauer auf Ninas Hinterhof.
Auf dem schmalen Hof hingen Wäscheleinen, und auf einer Seite standen ein paar Schuppen. Die grün gestrichene Tür am Hintereingang des Hauses war geöffnet. Andrew kletterte über die Mauer und landete auf der anderen Seite lautlos im Gras.
Vorsichtig schlich er an den vollen Wäscheleinen vorbei bis zum ersten Schuppen und versteckte sich dort. Aus den Mülltonnen aus Metall drang ein ekelhafter Gestank. Als Andrew durch einen Spalt in der Tür spähte und sich fragte, was er als Nächstes tun sollte, trat ein verwahrlostes Mädchen mit einem Holzeimer durch die Hintertür. Es schüttete schmutziges Wasser in einen Gully, kehrte dann in den düsteren Hausflur zurück
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