Operation Romanow
und verschwand in der Dunkelheit.
Nach ein paar Minuten wurde eine Tür auf der rechten Seite des Treppenhauses geöffnet. Eine Frau trat mit einem leeren Weidenkorb auf den Hof.
Sie trug eine dunkle Schürze und sah müde und abgespannt aus.
Es war Nina.
Ein kleines, blasses Kind mit blonden Locken folgte ihr. Es schluchzte und rieb sich die Augen.
Andrews Brust zog sich zusammen, als er seinen Sohn erkannte.
Sergej klammerte sich an die Schürze seiner Mutter, als wollte er getröstet werden. Der Anblick zerriss Juri Andrew beinahe das Herz.
Während Nina an den Wäscheleinen entlangging und ihre Wäsche abnahm, versuchte sie Sergej mit sanften Worten zu beruhigen. Der Kleine war nörgelig und müde. Er streckte Nina die Hände entgegen, damit sie ihn auf den Arm nahm.
Als Nina fertig war, hob sie ihn schließlich hoch. Sie setzte ihn auf ihre linke Hüfte, ehe sie ihn, mit dem Wäschekorb unter dem anderen Arm, wieder ins Haus trug.
Andrew hätte am liebsten ihren Namen gerufen, doch er wagte es nicht. Und wenn die Tscheka auch im Haus auf ihn lauerte?
Übelkeit stieg in ihm auf.
Die Minuten vergingen.
Als Andrew es nach weiteren fünfzehn Minuten nicht mehr aushielt, sein Herz laut klopfte und sein Magen sich vor Angst verkrampfte, zog er den geladenen Nagant-Revolver aus der Werkzeugtasche.
Er schlich an den Wäscheleinen entlang und gelangte in den düsteren Hausflur. Es war niemand zu sehen, und es roch streng nach gekochtem Kohl und Hammelfleisch.
Aus den Wohnungen drangen Geräusche: der schrille Schrei eines Babys, die keifenden Stimmen von streitenden Erwachsenen. Andrew ging weiter. Er gelangte an eine Tür, hinter der er Ninas leise Stimme ein Schlaflied singen hörte, und klopfte. Kurz darauf hörte er Schritte auf den nackten Holzdielen, dann wurde die Tür geöffnet.
Als Nina ihn sah, presste sie ungläubig eine Hand auf den Mund und schnappte nach Luft.
Ehe sie etwas sagen konnte, huschte Andrew in die Wohnung und schloss lautlos die Tür.
74. KAPITEL
Tscheka-Hauptquartier, Moskau
Die Tür wurde aufgerissen, und Jakow betrat das Büro. »Sie stinken, als wären Sie in ein Wodka-Fass gefallen. Was wollen Sie?«, fragte er.
Abraham Tarku starrte ihn mit glasigen Augen an und fuhr sich mit der Zunge nervös über die Lippen.
Jakows Blick verengte sich. »Es geht um Andrew, nicht wahr? Natürlich!«
»Nachdem Sie mich in Moskau geschnappt haben, ließen Sie mich wieder laufen. Sie haben gesagt, Sie wollten mich als Köder benutzen, falls Andrew auftaucht. Das war der einzige Grund, warum Sie mir keine Kugel ins Genick gejagt haben. Ich habe dem Kommissar damals schon gesagt, dass der Hauptmann seinen Bruder nicht getötet hat.«
Jakow verzog spöttisch den Mund. »Das fängt ja gut an! Gleich zu Beginn eine Lüge. Sie haben behauptet, bewusstlos gewesen zu sein. Feldwebel Mersk hat das bestätigt. Sie sind halb blind, und Ihre Brille war kaputt. Wie konnten Sie da irgendetwas erkennen? Sie haben doch keine Ahnung, was passiert ist!«
»Ich kenne den Hauptmann.«
»Ich kenne ihn auch. Und ich weiß, dass verzweifelte Menschen zu allem fähig sind. Spucken Sie endlich aus, was Sie wissen, und Ihnen und Ihrer Familie wird nichts geschehen.«
»Er hat mich aufgesucht.«
»Wann?«
»Heute am frühen Nachmittag. Er wollte meine Hilfe. Er brauchte saubere Kleidung und hat sich eine Schreibmaschine ausgeliehen. Er hat sich für die Züge interessiert, die Richtung Osten in den Ural und nach Jekaterinburg fahren.«
»War er in Begleitung einer Frau?«
»Ja, in der Tat.«
Sie saßen am Tisch. Die Stille wurde nur durch das Atmen des schlafenden Jungen unterbrochen.
»Bitte leg die Waffe weg, Juri«, flüsterte Nina ängstlich.
Als Andrew sich überzeugt hatte, dass er in Sicherheit war, folgte er der Bitte und steckte den Revolver in die Tasche.
Ihre Blicke trafen sich. Sie fühlten sich beide unbehaglich, als wären sie Fremde. Andrew stand auf, trat ans Bett und betrachtete seinen Sohn. Er entdeckte die Flasche mit den Tropfen auf dem Nachttisch. »Wie geht es ihm?«
»Seine Bronchien sind verstopft. Der Winter war schlimm. Der Arzt hat gesagt, er braucht viel Ruhe und Wärme. Weck ihn bitte nicht auf. Ich bin froh, dass er endlich schläft, Juri.«
Andrews Hand schwebte über Sergejs Stirn. Es fiel ihm schwer, sich zusammenzureißen. Tiefe Sorgenfalten hatten sich in sein Gesicht gegraben. Dann beugte er sich hinunter und küsste seinen Sohn auf die verschwitzte Stirn.
»Du
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