Operation Romanow
dich und deinen Sohn in einen Zug zu setzen, der euch in ein Gefangenenlager bringt. Dieser Zug fährt nach Jekaterinburg. Deine Situation ist aussichtslos.«
Nina riss entsetzt die Augen auf. »Welcher Mann kann ein unschuldiges Kind für die Sünden seiner Eltern zum Tode verdammen? Wer würde so etwas tun? Sergej hat nichts Unrechtes getan! Du hast deine Seele verkauft, Leonid. Du hast sie verkauft, verstehst du?«
»Hör mir zu, Nina«, sagte Jakow nach einem Moment des Schweigens in entschlossenem Ton. »Ich habe dich nicht in den Zug gesetzt, der in das Gefangenenlager fährt. Ich habe den Befehl missachtet, um Zeit zu gewinnen, damit du in Ruhe über alles nachdenken kannst. Das kann mich und meine Tochter das Leben kosten.« Er musterte sie. »Vielleicht schaffe ich es, dich noch zu retten – aber willst du das überhaupt?« Als er fortfuhr, flüsterte er beinahe. »Weißt du, warum Juri zurückgekehrt ist? Wenn du meinst, dass er das getan hat, um dich zu retten, dann irrst du dich. Er ist hier, weil er versuchen will, die Romanows zu befreien.«
»Was redest du da?«
»Es ist die Wahrheit. Die halbe Rote Armee ist hinter ihm und der Frau her, die ihn begleitet.«
»Welche Frau?«
»Wir konnten sie bis jetzt nicht identifizieren. Aber wenn wir sie schnappen, möchtest du bestimmt nicht in ihrer Haut stecken. Du bist es Sergej schuldig zu überleben, Nina, und deine Tage nicht in einem eisigen Grab in einem gottverlassenen Winkel Sibiriens zu fristen!« Jakow verstummte kurz. »Du musst mir helfen, Juri zu finden. Du musst ihn von der Dummheit seiner Mission überzeugen und dazu bringen, seine Mitverschwörer zu verraten. Ihm würde das nicht das Leben retten, dir und deinem Sohn möglicherweise schon. Das ist eure letzte Chance. Wenn wir Jekaterinburg morgen erreichen und du dich nicht dafür entschieden hast, mir zu helfen, setze ich dich in den Zug zu dem Gefangenenlager, und dann kann ich nichts mehr für dich tun.«
Nina verzog keine Miene. »Hast du es ernst gemeint, als du gesagt hast, dass du mich liebst?«, fragte sie ihn in gleichgültigem Ton.
»Natürlich.«
Langsam öffnete Nina die obersten Knöpfe ihres Kleides, sodass ihr Dekolleté entblößt wurde. »Ist es das, was du willst, Leonid?« Sie wirkte vollkommen teilnahmslos, als beträfe sie das alles gar nicht. »Ist es das, was du dir wünschst? Du kannst mich haben. Ich würde alles tun, um Sergejs Leben zu retten. Bitte mich aber nicht, seinen Vater, den er liebt, zu verraten.«
Sie starrten sich an. Jakow sah die Tränen, die in ihren Augen glänzten. Nina begann zu schluchzen, und Jakow zog sie an sich. Dieses Mal leistete sie keinen Widerstand, als hätte sie keine Kraft mehr, um zu kämpfen. Sie standen schweigend beieinander, bis Nina sich schließlich aus der Umarmung löste und sich die nassen Augen rieb.
Jakow knöpfte das Kleid behutsam wieder zu. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie lange ich auf einen solchen Moment gewartet habe, wie sehr ich mich danach gesehnt habe. Doch jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt.«
»Ich würde alles tun, um Sergej zu retten.«
»Dann bitte ich dich ein letztes Mal, mir zu helfen.«
86. KAPITEL
Zwischen Moskau und Jekaterinburg
Jakow stand in seinem Schlafabteil und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Er betrachtete sich im Spiegel und erkannte die Verzweiflung in seinen Augen.
Die Tür wurde geöffnet, und Soba trat ein.
»Ich habe sie zurück in ihren Wagen gebracht. Wie ist es gelaufen?«
Jakow trocknete sich das Gesicht mit einem Handtuch ab und warf es aufs Bett. »Bis jetzt hat sie noch nicht zugestimmt. Ich arbeite daran.«
»Gibt es wirklich keine Hoffnung für sie, wenn sie sich weigert?«
»Nicht die geringste«, erwiderte Jakow niedergeschlagen.
Der Wagen ruckelte, als der Zug bremste und das Tempo verlangsamte. Jakow spähte aus dem Fenster und sah den Bahnhof vor ihnen. »Warum halten wir an?«
»Wir müssen Kohlen laden.«
»Such das Telegrafenamt und frag nach, ob es Nachrichten aus Moskau gibt.«
Jakow stand noch immer am Fenster und starrte hinaus in die Dunkelheit. Ninas Anschuldigung ging ihm nicht aus dem Kopf. Welcher Mann kann ein unschuldiges Kind für die Sünden seiner Eltern zum Tode verdammen? Wer würde so etwas tun?
»Und? Was sagst du dazu?«, fragte er sein Spiegelbild.
Hatte sie recht? Hatte er seine Seele verkauft? Er hatte sich verändert. So viel stand fest. Die vergangenen Jahre und die Revolution hatten einen harten Mann aus ihm
Weitere Kostenlose Bücher