Operation Romanow
war früher das Zimmer eines Hotelmitarbeiters gewesen, doch jetzt war das Fenster mit Eisenstangen gesichert.
Sorg lag mit nacktem Oberkörper bewusstlos auf einem Metalltisch. Er war mit einem zerfetzten weißen Bettlaken zugedeckt und mit Ledergurten an den Tisch gefesselt. Seine gesamte Kinnpartie war grün und blau und stark geschwollen.
Ein dünner ängstlicher Mann in einem abgetragenen dunklen, mit Zigarettenasche befleckten Anzug beugte sich über den Gefangenen. Neben ihm stand eine geöffnete Ledertasche. Als Kasan auftauchte, zuckte der Arzt ängstlich zusammen. Der Anblick des Inspektors mit dem trüben Auge ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.
»Ist er zu sich gekommen?«, fragte Kasan.
»Kurz, doch dann verlor er sofort wieder das Bewusstsein. Ich glaube nicht, dass der Kiefer gebrochen ist, aber Sie müssen fest zugeschlagen haben.«
Kasan zog das Laken weg und schaute auf die frisch verbundene Wunde. »Können Sie ihn nicht zwingen aufzuwachen?«
»Mit starkem Salmiak vielleicht. Ich würde nicht empfehlen, ihn zu schlagen, falls er Hirnblutungen hat.«
Der Arzt fühlte Sorgs Puls.
Kasan kniff mit Daumen und Zeigefinger in Sorgs Backe. »Dieses Schwein hat mich fast umgebracht. Tun Sie alles dafür, damit der Kerl zu Bewusstsein kommt.«
Auf der Treppe waren Schritte zu hören.
Kasan zeigte auf den Arzt. »Ich erwarte jemanden. Raus hier! Warten Sie in der Hotelhalle auf mich.«
Der eingeschüchterte Arzt lief hinaus, als der Kommandant des Ipatjew-Hauses den Raum betrat. Er betrachtete Sorg interessiert.
»Das ist also der Spion? Glauben Sie, dass er in Kürze ansprechbar sein wird?«
»Ich hoffe es, sonst ist das Leben des Arztes keinen Pfifferling mehr wert.«
Jurowski zündete sich eine Zigarette an. Er schien bester Laune. »Ich habe ausgezeichnete Nachrichten. Das Paar wurde geschnappt.«
»Was?«
»Kommissar Jakow ist unterwegs, um Andrew und die Frau in Gewahrsam zu nehmen. Sie sehen nicht besonders erfreut aus, Inspektor. Entdecke ich eine kleine Rivalität zwischen Ihnen beiden?«
Kasan schnaubte und betrachtete wieder Sorg. »Glauben Sie, was Sie wollen! Eins steht fest: Das war keine Operation eines Einzelnen. Unser Freund hier muss Hilfe gehabt haben. Darum habe ich alle Wachposten, die vergangene Nacht an den Kontrollpunkten Dienst hatten, befragen lassen, ob sie jemanden gesehen haben.«
»Das waren doch aber Hunderte! Es findet schließlich ein ständiger Wechsel zwischen den hier stationierten Soldaten und denen an der Front statt.«
»Wir befragen, wen wir können. Waren Sie im Tunnel?«
Jurowski nickte. »Die Stadt ist voller unterirdischer Gänge. Sie sind wie ein Labyrinth und stammen noch aus der Zeit, als Jekaterinburg als Festung geplant und gebaut wurde. Von dem Gang, den Sie gefunden haben, wusste ich allerdings nichts. Wir haben ihn gründlich durchsucht. Er ist leer wie alle anderen auch.«
»Und das sollte auch so bleiben.«
»Wir haben die Tür wieder versperrt und an allen Tunnelzugängen Posten aufgestellt.«
Kasan grinste. »Ich möchte Ihnen einen guten Rat geben, Jurowski. Es könnte klug sein, den Gang nicht zu erwähnen, wenn Sie Ihren Bericht nach Moskau schicken. Als Kommandant könnte Ihnen das als Versagen im Dienst ausgelegt werden.«
Dieser Tadel trieb Jurowski vor Wut die Röte ins Gesicht. Er drückte die Zigarette aus und wandte sich zum Gehen.
»Wo wollen Sie hin?«, fragte Kasan.
»Ich schaue mir den Wald an, wo wir die Leichen der Romanows begraben.«
Kasan grinste. »Ich könnte Sie doch begleiten, oder? Ein bisschen frische Luft wird mir guttun. Wenn wir zurückkommen, müsste ich unseren Spion verhören können.«
88. KAPITEL
Nowo-Tichwinski-Kloster, Jekaterinburg
» Was? Wie konnten Sie nur so leichtsinnig sein?«, schnauzte Schwester Agnes den Leichenbestatter wütend an.
Markow rang ängstlich die Hände. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, als hätte er die ganze Nacht kein Auge zugetan. »Es war nicht meine Schuld! Ich habe ihn gewarnt, dass er vorsichtig sein muss. Ich war gerade auf dem Weg zum Treffpunkt, um ihn einzusammeln, als ich überall Soldaten sah. Dann bin ich so schnell wie möglich zurückgefahren. Ich habe sogar bis zum Ende der Sperrstunde gewartet, bis ich es wagte, ins Kloster zu kommen!«
Es war sechs Uhr morgens. Sie saßen in dem Büro von Schwester Agnes. Die Nonne war außer sich, seitdem sie von Markow erfahren hatte, was passiert war.
»Was ist, wenn er uns verpfeift?«, fragte
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