Operation Romanow
Markow mit bebender Stimme. »Die Roten könnten ihm so zusetzen, dass er um Gnade winselt. Wir sind erledigt, glauben Sie mir. Ich haue ab, solange ich noch laufen kann.«
Als er sich zur Tür umdrehte, legte ihm die Nonne eine Hand auf den Arm. »Wo wollen Sie hin?«
»Ich verstecke mich bei Verwandten in Perm. Mein Sohn ist schon vorgefahren …«
Schwester Agnes verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Markow taumelte ein paar Schritte zurück und drückte fassungslos eine Hand auf die Wange.
»Warum schlagen Sie mich?«, stammelte er.
»Damit Sie wieder zur Vernunft kommen!«, erwiderte sie in strengem Ton. »Sie sollten in diesem Moment auf Gott vertrauen und nicht in Panik geraten! Erzählen Sie mir noch einmal, was Sie gehört haben.«
Markow massierte sich die Wange. »Die Roten haben vor einer Stunde den Leichnam eines Mannes zu mir gebracht, der die Sperrstunde missachtet hat. Ich erschrak zu Tode, als sie an meine Tür schlugen, und wurde beinahe ohnmächtig. Ich dachte, sie wären gekommen, um mich zu holen.«
»Weiter!«
»Sie prahlten damit, dass ein feindlicher Spion in einem Tunnel unter der Stadt geschnappt worden sei. Ein Inspektor der Tscheka namens Kasan hat ihn verhaftet. Der Gefangene wurde zum Verhör in eine Zelle ins Amerika-Hotel gebracht. Offenbar ist er so heftig verprügelt worden, dass er das Bewusstsein verloren hat. Sie mussten einen Arzt aus dem Stadtkrankenhaus holen.«
Schwester Agnes lief in dem kleinen Raum bestürzt hin und her. »Ich weiß, dass es hoffnungslos scheint, aber es muss etwas geben, was wir tun können!«
»Da wir die Tunnel nicht mehr nutzen können, müssen wir uns von unserem Plan verabschieden. Und noch schlimmer ist, dass wir in Gefahr schweben, verraten zu werden, wenn er spricht.«
Es klopfte an der Tür, worauf eine Novizin eintrat.
»Ein Mann in einer Uniform wartet in der Kapelle auf Sie, Schwester. Er hat an die Kirchentür geklopft und nach Ihnen gefragt.«
Schwester Agnes’ Wachsamkeit war geweckt. »Wer ist der Mann?«
»Das weiß ich nicht. Er sieht aus wie ein Soldat und will mit Ihnen persönlich sprechen.«
Markow begann zu zittern. »Ich hab doch gesagt, wir sind erledigt! Wollen wir wetten, dass die Roten das Kloster umstellt haben?«
»Hast du Militärfahrzeuge auf der Straße gesehen? Soldaten?«, fragte Schwester Agnes die Novizin.
»Ich habe nicht nachgesehen, Schwester. Soll ich es tun?«
»Nein, jetzt nicht mehr. Das könnte Aufmerksamkeit erregen.« Schwester Agnes bekreuzigte sich und schob Markow zur Tür. »Bring ihn in den Keller«, befahl sie der Novizin in unerbittlichem Ton. »Und achte darauf, dass er da bleibt. Ich spreche mit dem Soldaten.«
Schwester Agnes eilte in die Kapelle. Ihre schwarze Tracht flatterte um ihre Beine. Schmale, rubinrote Kerzen zuckten im düsteren Licht. In der Kapelle herrschte eine friedliche Atmosphäre, doch Schwester Agnes’ Herz klopfte so laut, dass sie meinte, der fremde Besucher müsste es hören.
Als sie den Mann mit der stattlichen Statur und dem unrasierten Gesicht neben der Eingangstür stehen sah, sank ihr der Mut. Er war um die fünfzig, trug eine dunkle Uniformjacke und kniehohe, polierte Stiefel.
Die Nonne ging auf ihn zu, und mit jedem Schritt wurde ihre Angst größer. »Ich … ich bin Schwester Agnes. Sie wollten mich sprechen?«
Der Mann betrachtete sie mit durchdringendem Blick. Dann drehte er sich um und klopfte mit dem Fingerknöchel auf die mit Kreide gemalte, spiegelverkehrte Swastika auf der Tür. Er starrte sie schweigend an.
Schwester Agnes’ Herzschlag setzte aus. Nacktes Entsetzen erfasste sie, in ihrem Kopf rasten die Gedanken. Hatte der Spion geredet? Stellte der Mann sie auf die Probe, um zu erfahren, was sie wusste?
»Sie haben nicht auf mein Zeichen reagiert. Ich habe es schon gestern Morgen an die Tür gemalt.«
Der Mann sprach fließend Englisch.
Schwester Agnes musterte den Fremden. Allmählich dämmerte es ihr, und Erleichterung stieg in ihr auf.
»Sie sollten mich fragen: ›Haben Sie sich verirrt? Brauchen Sie Hilfe?‹«, sagte er. »Und dann sollte ich sagen: ›Ich muss zur Marktstraße.‹«
»Vergib mir, mein Sohn. Im Augenblick stürmt so vieles auf mich ein. Es war ein schwieriger Morgen.«
Der Mann streckte die Hand aus und lächelte charmant. Er trug einen Silberring am Finger, auf dessen Innenseite das Zeichen der Bruderschaft eingraviert war. »Ich glaube, Sie haben mich erwartet. Mein Name ist Joe Boyle.«
89.
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