Operation Romanow
Blick auf den Samowar in einer Ecke. »Gegen eine Tasse Tee hätte ich nichts einzuwenden. Und ein heißes Bad könnte nicht schaden.«
Als Schwester Agnes Boyle heißen Tee aus dem Samowar eingoss, strich er sich hoffnungslos übers Gesicht. »Warum? Warum musste dieser Verrückte den Tunnel erkunden und uns alle in Gefahr bringen?«, fragte er.
Der Leichenbestatter schüttelte den Kopf. »Diese Frage kann nur er allein beantworten.«
»Am meisten schien er sich für die Großfürstin Anastasia zu interessieren«, warf die Nonne ein.
»Warum für sie?«
»Weiß der Himmel! Ich habe aber herausgefunden, welchen Arzt Kasan gerufen hat, und ich kenne ihn. Er hat in unserem Krankenhaus gearbeitet. Ich habe bei ihm zu Hause angerufen. Seine Frau sagt, er ist noch im Hotel.«
»Was ist mit dem anderen Paar, das wir erwartet haben?«, fragte Markow.
»Ich wünschte, ich wüsste es«, erwiderte Boyle. »Im Augenblick ist unsere größte Sorge die Frage, ob die Tscheka unseren Spion zum Reden bringt. Dann ist es für niemanden von uns mehr sicher.«
»Darum halte ich es für besser, wenn Sie nicht im Kloster bleiben«, sagte Schwester Agnes.
»Wo soll ich hin?«
»Markow besitzt etwa zwei Kilometer von hier ein Haus. Dort können Sie vorerst bleiben. Es könnte aber sein, dass wir später ein anderes Quartier für Sie beide suchen müssen. Spannen Sie die Pferde an«, fügte sie an Markow gewandt hinzu.
Dieser tippte sich kopfschüttelnd an die Stirn und ging hinaus. »Ja, Schwester.«
»Ich suche einen dunklen Anzug für Sie heraus. Markow kann ein paar Leichen aus dem Keller mitnehmen. Zumindest sieht es dann so aus, als würden Sie Ihrer rechtmäßigen Arbeit nachgehen, wenn Sie angehalten werden.«
»Leichen?«
»Unser Krankenhaus ist voll davon. Ich fürchte, die Roten schießen im Augenblick blind um sich.«
Boyle betrat die Kapelle, in der absolute Stille herrschte. Die vergoldete Ikone der Muttergottes mit ihrem Kind schien über den Kerzen zu schweben, und ihre hübschen byzantinischen Gesichter strahlten ewigen Frieden aus. Seine Schritte auf den kalten Steinplatten hallten durch die Kapelle, als er zwischen den Säulen hindurch zur Eingangstür ging.
Er wischte die mit Kreide gemalte Swastika mit dem Ärmel von der Tür. Als er sich zum Altar umdrehte, spürte er einen furchtbaren Druck auf der Brust, eine Verzweiflung, die ihm beinahe den Atem nahm. Und dann tat er etwas, das er seit Jahren nicht mehr getan hatte. Boyle kniete sich in einen Kirchenstuhl, faltete die Hände und senkte den Kopf. Er betete nicht, sondern versuchte, im Frieden dieser Kapelle seine Enttäuschung zu überwinden.
Nach einer Weile hörte Boyle Schritte. Schwester Agnes kam auf ihn zu. »Eine der Nonnen besorgt Kleidung für Sie. Es wird nicht lange dauern. Habe ich Sie beim Beten gestört?«
Boyle schien mit den Gedanken weit weg zu sein. Er schüttelte den Kopf, als hätte er Mühe, aus seiner Benommenheit zu erwachen. »Ich habe gehört, es heißt, dass Beten mitunter bedeutet, der inneren Stimme zu lauschen. Wenn das der Fall ist, wurde mein Gebet vielleicht erhört.«
»Wie bitte?«
»Ich habe einen Plan. Er ist riskant und verzweifelt, aber wenn er funktioniert, könnte es uns gelingen, unseren Mann zu befreien, ehe er spricht.«
»Ich höre.«
»Markow und ich verschaffen uns mit falschen Papieren Zugang zum Hotel und verlangen die Herausgabe des Gefangenen.« Schwester Agnes starrte ihn entsetzt an.
»Beeindruckt Sie das nicht?«, fragte Boyle mit einem schiefen Lächeln.
»In dem Hotel wimmelt es von der Tscheka! Das ist ihr Hauptquartier. Und zu versuchen, ihren wertvollen Gefangenen aus dem Hotel herauszuholen, wird unmöglich sein. Wer weiß, in welchem Zustand er ist.«
Boyle nahm eine.45er Colt-Pistole aus der Tasche, zog das Magazin heraus und überzeugte sich davon, dass es geladen war. »Dann haben wir nur noch eine Möglichkeit, um dafür zu sorgen, dass er den Mund hält.«
»Und die wäre?«
»Wir töten ihn.«
91. KAPITEL
Zwischen Moskau und Jekaterinburg, in der Nähe von Kowrow
Mersk zerrte Lydia am Arm über den Hof.
Die stinkenden Nebengebäude hinter der Werkstatt waren Teil eines ehemaligen Bauernhofs. Auch eine Scheune und Melkstände gehörten dazu.
Mersk lachte. »Jetzt werden wir beide ein bisschen Spaß miteinander haben. Glaub ja nicht, dass dein Freund Andrew ungeschoren davonkommt. Jakow kann ihn haben, aber erst, nachdem ich ihn mir richtig vorgeknöpft habe.«
Zwei
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