Operation Sahara
Jahrzehnte immer abenteuerlicher. Die einen behaupteten, Kitty habe den Absturz überlebt, leide jedoch unter Gedächtnisschwund und lebe heute unter einem anderen Namen in Südamerika. Andere glaubten, sie sei von einem Stamm der Tuaregs gefangengenommen und versklavt worden. Nur Amelia Earhardts Flug ins Nichts sorgte für noch mehr Spekulationen.
Die Wüste bewahrte ihr Geheimnis gut. Der Sand wurde zu Kitty Mannocks Leichentuch. Das Geheimnis ihres Fluges ins Unbekannte sollte erst ein halbes Jahrhundert später gelüftet werden.
TEIL I
Durchgedreht
1
5. Mai 1996
Oase Asselar, Mali, Afrika
Die meisten Menschen sind vollkommen verblüfft über die Tatsache, daß man Tage oder Wochen durch die Wüste fahren kann, ohne ein Tier zu erblicken, Menschen zu treffen, das geringste Zeichen von Zivilisation zu entdecken. Der Anblick der Behausungen bedeutete deshalb für die elf Touristen in den fünf Landrovern und ihre Fahrer eine regelrechte Erleichterung.
Verschwitzt und ungewaschen, erschöpft von der sieben Tage dauernden Fahrt durch menschenleeres Gebiet, freuten sich die Touristen, die bei »Backworld Explorations« die Fahrt »Quer durch die Sahara« gebucht hatten, wieder unter Menschen zu kommen und genügend Wasser für ein erfrischendes Bad vorzufinden.
Vor ihnen lag das Dorf Asselar, vollkommen isoliert, mitten in der Zentralsahara. Das Gebiet gehörte zu Mali. Ein paar Lehmhütten gruppierten sich um einen Brunnen, der mitten in einem alten Flußbett lag. Im weiteren Umkreis lagen Hunderte von mehr oder weniger verfallenen Häusern. Jenseits davon, oberhalb der flachen Uferböschung, dehnte sich die endlose Ebene. Die vom Zahn der Zeit angenagten Häuser paßten sich der dürren und farblosen Landschaft so gut an, daß das Dorf aus der Ferne kaum auszumachen war.
»Na, da liegt es.« Major Ian Fairweather, der Leiter der Safari, deutete nach vorn. Die Gruppe hatte sich um ihn versammelt.
»Beim Anblick des Dorfes würde man nie auf den Gedanken kommen, daß Asselar früher einmal ein kultureller Knotenpunkt Westafrikas war. Fünf Jahrhunderte lang war der Ort eine wichtige Wasserstelle für die Handels- und Sklavenkarawanen, die auf ihrem Weg nach Norden und Osten hier durchzogen.«
»Warum ist der Ort so heruntergekommen?« erkundigte sich eine Kanadierin in Top und Shorts neugierig.
»Als Folge der Kriege und Eroberungsfeldzüge der Mauren und Franzosen sowie der Abschaffung der Sklaverei. Der Hauptgrund ist allerdings wohl der, daß sich die Handelsrouten nach Westen und Osten näher zu den Küsten hin verlagert haben. Das endgültige Ende kam vor ungefähr 40 Jahren, als die Brunnen allmählich austrockneten. Der einzige noch funktionierende Brunnen, der auch heute weiter das Dorf versorgt, ist fast 50 Meter tief.«
»Nicht gerade das, was man sich unter einer Metropole vorstellt«, murmelte ein untersetzter Mann mit spanischem Akzent.
Major Fairweather lächelte gequält. Er war groß und schlank, hatte bei den Royal Marines gedient, rauchte eine lange Filterzigarette und sprach in knappen, einstudierten Sätzen.
»Heute leben in Asselar nur ein paar Tuaregfamilien, die das Nomadendasein aufgegeben haben. Im wesentlichen ernähren sie sich von kleinen Ziegenherden und den Früchten des Sandbodens, der manuell mit dem Wasser des Brunnens bewässert werden muß, sowie von der Handvoll Halbedelsteine, die in der Wüste gefunden, hier geschliffen und dann mit dem Kamel in die Stadt Gao gebracht werden, wo sie als Souvenirs verkauft werden.« Ein Anwalt aus London in tadellosem Khaki-Anzug mit Tropenhelm wies mit einem Ebenholzstock zum Dorf. »Macht auf mich einen verlassenen Eindruck. Ich glaube, mich an den Text in Ihrem Katalog erinnern zu können, ›Eingeborene tanzen zu Gesängen der Wüste vor den flackernden Lagerfeuern Asselars‹.«
»Ich bin sicher, daß unser Vorauskommando alle Vorbereitungen getroffen hat, damit Sie es bequem haben und Ihren Aufenthalt genießen können«, beruhigte Fearweather ihn selbstsicher. Einen Moment lang musterte er die Sonne, die hinter dem Dorf unterging. »Es wird bald dunkel sein. Besser, wir fahren in den Ort hinein.«
»Gibt’s dort kein Hotel?« fragte die Kanadierin. Fairweather unterdrückte einen gequälten Blick. »Nein, Mrs. La nsing. Wir kampieren in den Ruinen jenseits des Dorfes.«
Allgemeines Stöhnen bei den Touristen. Sie hatten auf ein weiches Bett und ein eigenes Badezimmer gehofft. Doch das war ein Luxus, der in Asselar von
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