Operation Zombie
war nicht nur ein Hibakusha, meine Blindheit machte mich gleichzeitig zur Last. Am Fenster des Sanatoriums konnte ich den Lärm unserer Nation hören, die am Wiederaufbau arbeitete. Und welchen Beitrag leistete ich für diesen Wiederaufbau? Keinen! So oft bemühte ich mich und fragte nach einer Anstellung, einer Arbeit, wie unbedeutend oder niedrig sie auch sein mochte. Niemand wollte mich haben. Ich war immer noch ein Hibakusha und lernte so viele höfliche Möglichkeiten kennen, mich abzuweisen. Mein Bruder flehte mich an, ich sollte zu ihm ziehen, bestand darauf, dass er und seine Frau sich um mich kümmern und sogar eine »nützliche« Tätigkeit im Haus für mich finden würden. Für mich war das noch schlimmer als das Sanatorium. Er war gerade von der Armee zurückgekommen, und sie versuchten, noch ein Baby zu bekommen; mich ihnen in so einer Zeit aufzudrängen, das war undenkbar. Natürlich dachte ich daran, meinem Leben ein Ende zu setzen. Ich versuchte es sogar mehrmals. Aber etwas hinderte mich daran und hielt mir jedes Mal die Hand fest, wenn ich nach Tabletten oder einer Glasscherbe griff. Ich hielt es für Schwäche, was hätte es sonst sein können? Ein Hibakusha, ein Parasit, und jetzt auch noch ein ehrloser Feigling. In jenen Tagen kannte meine Scham kein Ende. Wie der Kaiser in seiner Kapitulationsansprache an unser Volk gesagt hatte, ich »ertrug das Unerträgliche« wahrhaftig. Ich verließ das Sanatorium, ohne meinen Bruder zu informieren. Ich wusste nicht, wohin ich wollte, nur, dass ich so weit von meinem Leben, meinen Erinnerungen, mir selbst weg musste wie möglich. Ich reiste, bettelte vorwiegend ... ich hatte keine Ehre mehr zu verlieren... bis ich mich in Sapporo auf der Insel Hokkaido niederließ. Diese kalte nördliche Wildnis ist stets die bevölkerungsärmste Präfektur Japans gewesen, und nach dem Verlust von Sachalin und den Kurilen wurde es zur, wie es in dem geflügelten Wort des Westens heißt, »Endstation«. In Sapporo lernte ich einen Ainu-Gärtner kennen, Ota Hide- ki. Die Ainu sind Japans älteste indigene Gruppe und stehen auf unserer gesellschaftlichen Leiter noch niedriger als die Koreaner.Vielleicht hatte er deshalb Mitleid mit mir, einem anderen Paria, den der Stamm von Yamato verstoßen hatte. Vielleicht hatte er auch keinen, dem er sein Wissen und Können weitergeben konnte. Sein eigener Sohn war nie aus der Mandschurei zurückgekehrt. Ota-san arbeitete im Akakaze, einem ehemaligen Luxushotel, das heute als Wiedereinbürgerungszentrum für japanische Siedler aus China dient. Zuerst beschwerte sich die Verwaltung, sie hätten keine Mittel mehr, um noch einen Gärtner einzustellen. Ota-san bezahlte mich aus eigener Tasche. Er war mein Lehrer und einziger Freund, und als er starb, dachte ich ernsthaft daran, ihm zu folgen. Aber da ich ein Feigling war, brachte ich es nicht fertig. Stattdessen existierte ich einfach weiter und arbeitete lautlos in der Erde, während aus dem Wiedereinbürgerungszentrum Akakaze abermals ein Luxushotel und aus dem in Trümmern liegenden Japan eine wirtschaftliche Supermacht wurde. Ich arbeitete noch im Akakaze, als ich vom ersten hiesigen Ausbruch erfuhr. Ich schnitt die im westlichen Stil angelegten Hecken beim Restaurant, als ich hörte, wie mehrere Gäste sich über die Nagumo-Morde unterhielten. Wie ich ihrem Gespräch entnehmen konnte, hatte ein Mann seine Frau ermordet und sich dann wie ein wilder Hund über den Leichnam hergemacht. Da hörte ich zum ersten Mal den Ausdruck »afrikanische Tollwut«. Ich versuchte, gar nicht hinzuhören, versuchte, meine Arbeit zu machen, aber am nächsten Tag hörte ich weitere Gespräche, weitere gedämpfte Stimmen auf dem Rasen und am Pool. Nagumo war ein alter Hut im Vergleich zu dem ernsteren Ausbruch im Sumimoto-Krankenhaus in Osaka. Und am nächsten Tag war von Nagoya die Rede, dann Sendai, dann Ky oto. Ich versuchte, ihre Gespräche zu verdrängen. Ich war nach Hokkaido gekommen, um aus der Welt zu entfliehen, um meine letzten Tage in Schande und Anonymität zu verleben Die Stimme, die mich letztlich von der Gefahr überzeugte, war die des Hotelmanagers, einem steifen, nüchternen Angestellten mit höchst förmlicher Ausdrucksweise. Nach dem Ausbruch in Hirosaki hielt er eine Versammlung des Personals ab und versuchte, diesen wilden Gerüchten über Verstorbene, die wieder zum Leben erwachten, ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Ich konnte mich nur an seiner Stimme orientieren,
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