Opernball
dringend für die Abendsendung einen Bericht über die Hintergründe eines Flugzeugabsturzes in Asien zu schneiden hatte, legte ich parallel dazu in den VCR die Kassette über das Überlebenscamp ein. Ich mußte den Schneideraum in einer Stunde anderen überlassen.
Eine Gruppe junger Männer, sechs Drogenabhängige und drei Betreuer, wird mit dem Hubschrauber in eine gottverlassene Gegend im Norden von New Mexico geflogen. Man sieht weit und breit nichts als Steppe und einen Fluß, dessen Ufer grün bewachsen sind. In südlicher Richtung zeichnet sich in der Ferne die majestätische Silhouette der Rocky Mountains ab.
»Der schneebedeckte Gipfel«, so sagt der Kommentator, während die Kamera zoomt, »ist der 11301 Fuß hohe Mt. Taylor. Der Fluß heißt Rio Puerco. Er nimmt das Gletscherwasser der Berge auf und windet sich in unpassierbaren Schluchten hinab zum Rio Grande. Hier kann niemand entkommen. Die nächste Stadt, Albuquerque, liegt achtzig Meilen entfernt, hinter den Bergen.«
Alles, was die Camper bei sich haben, sind Kanister mit Trinkwasser, ein Zelt, Campinggeschirr, mehrere Angeln, Decken und Medikamente. Man sieht sie das Zelt aufbauen und eine Feuerstelle anlegen.
»Ich bin zutiefst erschüttert. Mehr kann ich nicht sagen. Ich bin zutiefst erschüttert.« Die ersten zwei Sätze raus. »...n. Ich bin zutiefst erschüttert.« Noch zwei Millimeter vom Anfang weg. »Ich bin zutiefst erschüttert. Mir tun vor allem die Angehörigen leid. Ich fühle mich verantwortlich für sie, obwohl ich weiß, daß mich keine Schuld trifft. Die Maschine wurde regelmäßig gewartet. Wir haben weit mehr getan, als der Erzeuger vorschreibt. Uns trifft keine Schuld. Auch den Piloten nicht.« Der Fluglinienchef, ein ehemaliger Rennfahrer, macht eine Pause. Unter seiner Baseballkappe mit einer Werbeaufschrift sieht man die Narben von Hauttransplantationen nach seinem schweren Unfall bei einem Formel-1-Rennen. Stop.
Die Drogenabhängigen stehen am Fluß. Einer badet samt seiner Kleidung darin. Ein Betreuer gräbt ein stacheliges Gewächs aus und erklärt, daß die Wurzel eßbar sei. Er wäscht sie im Wasser, beißt ab und reicht die Wurzel weiter. Ein Blonder in weißem T-Shirt probiert. Er verzieht das Gesicht.
»Altes indianisches Wissen wird zur Rettung von gestrandeten weißen Mittelklassekindern«, sagt der Kommentator.
»Wie konnte das Unglück geschehen?«
»Nach allem, was wir bisher wissen, hat sich die Schub...« Frage raus. Schnitt. »Nach allem, was wir bisher wissen, hat sich die Schubumkehr automatisch eingeschaltet. Die Schubumkehr dient dazu, das Flugzeug nach der Landung abzubremsen. Die Schubkraft des Triebwerks wird dabei durch eine Klappe in die entgegengesetzte Richtung umgeleitet. Das ist während des Fluges geschehen. Die Blackbox beweist das. Der Pilot konnte überhaupt nichts tun. Nicht das Geringste. Wenn die Herr...« Stop. »Nicht das Geringste.« Schnitt. Zuspielband eins über das Einsammeln der Leichenteile.
»Die Bergemannschaften konnten erst nach drei Tagen in das steile Gelände vordringen. Andere waren mit dem Gelände offenbar besser vertraut, denn die Uhren und Wertgegenstände waren großteils verschwunden.« Verwackelte Bilder von tropischen Gewächsen, aufgenommen mit der Handkamera. Raus damit. Schnitt.
Die Camper stehen bis über die Knie im Fluß und reichen Steine weiter. Sie legen einen Damm an, hinter dem sie die Wasserkanister versenken.
Ein Betreuer sagt: »Es ist eine harte, aber erfolgreiche Methode. Die Natur lehrt diese Menschen ein neues Leben.«
Der Hubschrauber fliegt fort. Das Kamerateam darf noch einen Tag bleiben.
Männer mit Masken vor dem Mund, bunten Plastiksäcken in der einen Hand und einer Machete in der anderen bahnen sich einen Weg durch einen dicht verwachsenen Dschungel. Stop. Zurück zum Hauptband.
»Wenn die Herstellerfirma behauptet, es sei ein Pilotenfehler gewesen, dann ist das reiner Selbstschutz.« Unnötige Erklärung. Raus damit.
»Gehen wir davon aus, es war so, daß sich die Schubumkehr automatisch eingeschaltet hat. Hat der Pilot denn richtig darauf reagiert?«
»Sicher hat er richtig reagiert. Er konnte gar nicht anders reagieren. Er hat das getan, was der Erzeuger empfiehlt. Wenn Sie das Handbuch der Erzeugerfirma nehmen und nachschlagen, was der Pilot machen soll, wenn das Signal der Schubumkehr aufleuchtet, so steht dort...« Die Frage und die ersten drei Sätze raus. Schnitt. »Wenn Sie das... et, so steht dort: Ignorieren. Und
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