Opfer
am Arsch«, lachte er. »Die dummen, kleinenScheißer. Ich würd’ sagen, Sie haben recht. Wir verschwenden hier unsere Zeit.«
»Ja«, stimmte Sean zu. »Mal sehen, was der Spurensicherer herausfindet, aber ich glaube, das ist nur ein Zufall. Wenn ich nicht hier rausgekommen wäre, hätten wir nie erfahren, dass irgendeine kleine Samantha hier im Bunker herumgezaubert hat. Ist bestimmt nur irgendein Teenie mit Liebeskummer.«
Rivett runzelte die Stirn. »Samantha?«
»Ja«, erwiderte Sean. » Verliebt in eine Hexe , wissen Sie noch? Die Serie mit der Hausfrau, die zaubern konnte. Die, die immer so mit der Nase gewackelt hat.« Er machte sie nach. »Die hieß Samantha.«
»Ach ja.« Rivett schob sich den Hut aus der Stirn. »Jetzt weiß ich wieder.« Er lachte und schüttelte den Kopf. »Tja, ich glaub aber nicht, dass die einfach wieder zurückkommt, während wir hier warten. Zumindest nicht tagsüber.«
»Nein«, stimmte Sean zu und drehte sich in Richtung Ausgang.
»Aber«, setzte Rivett an, der stehen geblieben war, »der arme alte Gray ist bestimmt fast umgekippt, als Sie das hier gefunden haben.«
»Ja.« Sean blieb am Ausgang stehen. »Ja, das hat ihn ziemlich mitgenommen. Hat wohl eine Menge schlechter Erinnerungen geweckt.«
»Vermutlich«, sagte Rivett und zog sich den Hut wieder tief ins Gesicht, so dass die Krempe einen Schatten über seine Augen warf. »Hat er Ihnen davon erzählt?« Er spuckte einen Tabakrest auf den Boden, riss sich endlich vom Pentagramm los und kam zum Ausgang.
»Nein«, erwiderte Sean. »Das wollte er ganz und gar nicht, hatte ich den Eindruck.«
Rivett nickte in Richtung des Iron Duke und ging los. »Tja, Gray ist der starke, stille Typ. Aber so was muss nicht mal ein abgehärteter alter Hase wie ich oft sehen.«
Sean nickte. »Wie kam er Ihnen vor, als Sie damals hierrausgekommen sind? Hatte er Woodrow schon in Handschellen, ihr ihre Rechte verlesen und so weiter?«
Rivett schüttelte den Kopf. »Nein. Er hat sie da rausgeholt und ihr einen Krankenwagen gerufen. Er meinte, sie stünde unter Schock. Ich hab gesagt, wir holen ihr schon noch einen Arzt, wenn wir sie hinter Schloss und Riegel haben. Ich fand’s schon seltsam, dass er sich mehr Sorgen um sie gemacht hat als um ihr Opfer.«
»Vielleicht stand er auch unter Schock«, vermutete Sean.
»Kann sein.« Rivett wirkte, als wäre ihm der Gedanke völlig neu. »Keiner von uns weiß wohl, wozu er fähig ist, bevor er nicht auf die Probe gestellt wird.«
»Nein«, stimmte Sean zu. »Und einer wie Gray lässt sich nach so was auch sicher nicht gerne vom Arzt durchchecken.«
»Nein, hat er auch nicht«, sagte Rivett. »Wer würde das schon wollen in unserem Job?« Er schüttelte den Kopf. »Man darf ja keine Schwäche zeigen. Keiner soll wissen, wenn man Angst hat.«
*
Die Grays saßen auf dem Sofa, und Sandra massierte ihrem Mann die verspannten Schultern, während der ihr erzählte, was er und der Detektiv aus London am Morgen gefunden hatten. »Da ist einfach alles wiedergekommen«, sagte Gray. »Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet.«
»Hat Rivett dich da rausgeschickt?«, fragte Sandra, und ihre Stimme wurde wieder hart.
»Nein, überhaupt nicht. Das war Wards Idee. Hat mich ziemlich aus dem Konzept gebracht, aber der macht ja nur seine Arbeit. Hab mir gedacht, ich helf ihm eben, so gut ich kann. Ist ein anständiger Kerl, glaub ich.«
»Was wollte er denn gestern Abend mit dir besprechen?« Sandra wollte das Thema nicht übergehen und senkte die Hände. »Len Rivett, meine ich.«
Aber Gray legte nur den Kopf in die Hände und schwieg.
Sandra starrte ihn eine ganze Weile an, und jahrzehntealte offene Fragen und unterdrückte Gefühle schwirrten ihr durch Kopf und Herz.
»Paul«, sagte sie mit sanfterer Stimme. »Eins hab ich dir nie erzählt. Über Edna, Edna Hoyle. Ich hab ihr doch jede Woche die Haare gemacht.«
Gray schaute durch die Finger zu ihr hoch.
»Du hast sie ja immer für eine alte Kratzbürste gehalten«, setzte Sandra fort. »Aber irgendwann hab ich gemerkt, dass das alles nur Fassade war. Sie hatte kein besonders glückliches Leben, und sie hat nur deshalb so einen Aufwand um ihre Haare betrieben, weil die so etwas waren wie ihre Rüstung gegen die Welt. Klar, sie hatte ein schönes Haus und haufenweise Geld, aber ich glaub nicht, dass sie bei ihrem Mann viel zu lachen hatte. Und in dem einen Jahr hat sie alles verloren, was sie liebte. Erst ihr Hündchen, dann ihre Enkelin …«
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