Opfergrube: Kriminalroman (Darmstadt-Krimis) (German Edition)
sie wieder an ihrem Schreibtisch.
Sie suchte die Nummer des Heidelberger Polizeireviers heraus. Kriminalinspektion Heidelberg. Kommissariat K1: Vermisste, Todesermittlungen, Gewalt gegen Frauen und Sexualdelikte. Der Kollege auf Augenhöhe war Polizeihauptkommissar Frank Fischer. Sie wählte die Durchwahl.
»Kriminalinspektion Heidelberg. Kommissariat K1, Fischer. Ja, bitte?«
»Guten Tag, Kollege. Hier spricht Margot Hesgart. Polizeipräsidium Südhessen in Darmstadt. Ich hätte da eine Frage.«
»Kollegin Hesgart, was kann ich für Sie tun?«
Margot schilderte knapp den aktuellen Fall. »Die drei Toten und ein vierter Verbindungsbruder, die waren am zweiten Juniwochenende 2006 in Heidelberg. Das war das Wochenende, an dem die Fußball-WM begann. Es gibt Hinweise darauf, dass dort etwas vorgefallen sein könnte, was die Truppe aufgemischt hat. Gab es damals Straftaten, die noch nicht aufgeklärt worden sind? Wahrscheinlich mit vier männlichen Beteiligten. Als Opfer, als Täter oder vielleicht auch einen Streit der vier untereinander.«
»Geben Sie mir ein paar Minuten, ich werde mal unser Archiv befragen. Ich rufe Sie gleich zurück.«
Margot bedankte sich und legte auf.
Nach kaum fünf Minuten meldete sich Fischer wieder bei ihr.
»Ich glaube, Sie haben ins Schwarze getroffen, Frau Hesgart. Wir haben hier einen Cold Case, einen alten Fall, der nach wie vor offen ist.«
Fischers Worte verdrängten alle Gedanken an Rainer, die Margot in den vergangenen Minuten beschäftigt hatten. »Ich höre.«
»Die kurze Zusammenfassung: Am Samstagabend an diesem Wochenende ist eine junge Frau fast vergewaltigt worden. Sie jobbte in einer Kneipe in der Altstadt. Dort wurde gerade das Spiel Argentinien gegen die Elfenbeinküste übertragen. Als sie im Hinterhof Abfall wegkippen wollte, wurde sie von drei Männern angegriffen. Zwei hielten sie fest, pressten sie mit dem Bauch an die Wand. Einer machte sich an ihrem Rock zu schaffen. Sekunden später kam ein vierter hinzu. Der hat die anderen drei wohl davon abgehalten weiterzumachen. Alle vier konnten entkommen.«
»Hat die Frau jemanden erkannt?«
»Ja. Einen. Und sie hat gesagt, dass alle vier farbige Bänder um den Oberkörper trugen, solche Schärpen. Genaues hat sie nicht gesehen. Sie meinte nur, an einem der Bänder eine Medaille mit einem Löwen drauf erkannt zu haben. Alles sehr vage. Aber so ein Band – das ist ja typisch für Verbindungsstudenten.«
»Wie weit sind Sie in dem Fall gekommen?«
»Wir hatten ein Phantombild von dem einen, den das Opfer gesehen hatte. Das haben wir auch auf unserer Homepage veröffentlicht. Und wir haben alle Verbindungen abgeklappert, die solche Bänder tragen. Ohne Erfolg.«
»Können Sie mir das Phantombild schicken?«
»Ja. Ich schiebe Ihnen mal alles rüber, was wir so an digitaler Ablage haben. Von dem Papierkram scanne ich die wichtigen Dinge ein. Kann etwas dauern, wir haben jetzt gleich noch drei Zeugenvernehmungen. Vier Täter – das wär ja was, wenn wir das jetzt doch noch lösen würden.«
Fichter wohnte in einer großen Altbauwohnung im Johannesviertel. Aus dem Fenster des Wohnzimmers konnte man auf die Johanneskirche sehen. Horndeich hatte auf dem Haus der Ludovicen erfahren, dass Fichter Lehrer gewesen war, aber bereits zehn Jahre zuvor pensioniert worden war.
Fichters Frau hatte Kaffee gekocht, ein paar Kekse auf den Esstisch gestellt – und sich dann dezent zurückgezogen.
»Mathe, Deutsch und Altgriechisch, das waren meine Fächer«, sagte der ältere Herr. Er trug einen perfekt sitzenden Anzug und ein Tuch um den Hals. Auf Horndeich wirkte er wie ein Diplomat. »Am LGG. Gut, dass es wenigstens noch eine Schule gibt, an der man diese wichtige Sprache unterrichtet.«
»Herr Fichter, Sie waren im Ehrenrat der Ludovica«, begann Horndeich den offiziellen Teil der Befragung.
»Ja, Ralf hat mich schon informiert, dass Sie Dinge wissen möchten, über die ich nicht reden kann.«
Horndeich wusste, dass er hier nur mit Verständnis weiterkam. »Ja. Das weiß ich. Ich möchte Sie aber bitten, die Umstände zu betrachten und dann abzuwägen, ob Sie mir nicht vielleicht doch helfen können.«
»Lassen Sie hören.«
»Till Hansen ist tot. Er wurde ermordet. Emil Sacher ist tot, auch er wurde ermordet. Richard Wölzer ist tot – ob ermordet oder nicht, ist nicht ganz klar. Sicher ist, dass allen dreien nach ihrem Tod Wunden zugefügt worden sind. Es handelt sich offenbar um denselben Täter. Die Ludovica ist
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