Opfergrube: Kriminalroman (Darmstadt-Krimis) (German Edition)
einen Deut hätte abgewinnen können. Doch sie musste zugeben, dass die Gegend um die Scheftheimer Wiesen idyllisch war.
Als sie an der Menhiranlage ankam, rauschte der Wind durch die Bäume, eine leichte Brise nur, die nach der Hitze des Tages guttat. Die Sonne stand bereits tief im Westen. Das warme Licht tauchte die Flora in einen orangefarbenen Schimmer.
Vor ein paar Jahren hatte man neben den Menhiren eine Bank aufgestellt. Margot setzte sich, wandte sich so, dass die Sonne auf ihr Gesicht schien.
Sie genoss den Moment. Und wenn er auch keinen inneren Frieden brachte, so doch einen Augenblick der Ruhe.
Es war ein schöner Ort. Margot öffnete die Augen und stellte fest, dass, abgesehen von der Feuerstelle, von dem Hexenritual keine Spuren mehr zu sehen waren. Das Gras hatte sich an den Stellen, an denen es niedergetrampelt worden war, wieder aufgerichtet. Margot verstand nicht, was man solchen Ritualen abgewinnen konnte. Um Feuer tanzen, laut zu singen oder zu summen, Beschwörungsformeln aufzusagen – schon in der Kirche tat sie sich schwer beim Vaterunser. Für sie waren es einfach nur Worte. Von Menschen erdacht, für Menschen gemacht. Sie hatte keinen Bezug dazu.
Sie kannte Menschen, denen es anders ging, denen Beten oder ein Gottesdienst tatsächlich zu Ruhe und Gelassenheit, zu Kraft und Stärke verhalfen. Insgeheim war sie ein wenig neidisch auf diese Menschen. Und damit auch auf Doro, die in diesem Kreis mit seinen Ritualen Kraft tanken konnte.
Ganz leicht schüttelte sie den Kopf. Ruth Steiner hatte recht gehabt. Es passierte nichts Schlimmes, wenn Doro sich in diesem Umfeld bewegte. Und vielleicht sollte sie Doro auch einfach mehr zutrauen. Vielleicht war sie wirklich schon viel erwachsener, als Margot es sich eingestehen wollte. Und vielleicht wusste Doro tatsächlich besser als sie, Margot, die sie so viel älter war, was sie wollte.
Das führte Margots Gedankengang unweigerlich zu Rainer. Und wieder krampfte ihr Magen. Offensichtlich gab es da tatsächlich einen kausalen Zusammenhang. Jetzt war er schon nicht mehr in ihrem Leben und sorgte doch, allein durch Gedanken, dafür, dass sie Schmerzen hatte. Wer sagte, dass das Leben gerecht war?
Dann wanderten ihre Gedanken zu Horst, ihrem ersten Ehemann, der sich totgesoffen hatte. Ihr Magen legte noch ein bisschen an Säureproduktion zu.
Bei den Männern in deinem Leben hast du wirklich kein gutes Händchen gehabt, sagte das innere Stimmchen, das immer für einen zynischen – oder in diesem Fall ehrlichen – Kommentar gut war. Außer bei Ben, ergänzte es gnädigerweise. Ihr Sohn war schon lange aus dem Haus. Hatte eine Frau, Iris, mit der Margot nicht warm wurde, hatte zwei Kinder, die Margot selten sah – er lebte sein Leben, seit Anfang des Jahres in Berlin. Margot erinnerte sich an den letzten Besuch bei der kleinen Familie. Sie hatte sich gefühlt wie das fünfte Rad am Wagen. Iris und Ben waren ein eingespieltes Team, untereinander und auch im Umgang mit den Kindern. Mit einem Mal wurde Margot bewusst, dass hinter dem Gefühl, überflüssig zu sein, eine große Portion Neid steckte, Neid auf ein funktionierendes, bereicherndes Familienleben, das ihr selbst nie vergönnt gewesen war. Gleichzeitig dachte sie daran, dass Ben das geglückt war, was ihr nicht gelungen war. Und dass sie bei ihrem Sohn nicht alles falsch gemacht haben konnte, wenn er nun solch ein harmonisches Familienleben führte. Er war nicht drogenabhängig geworden, kein Alkoholiker, nicht einmal ein Raucher. Er war seinen Weg gegangen, hatte das studiert, was er wollte, sich dabei auch erfolgreich gegen sie, seine Mutter, durchgesetzt.
Und auch Doro ging ihren Weg. Auch wenn die vergangenen Jahre, in denen sie die junge Dame auf dem Weg zum Erwachsenwerden begleitet hatte, alles andere als leicht gewesen waren, so musste Margot auch hier feststellen: Doro war nicht abgerutscht. Sie würde es schaffen.
Sie schloss die Augen. Innerer Frieden war was anderes. Aber die Ruhe der Erkenntnis, dass sie sich wenigstens keine Sorgen um ihre Kinder machen musste – und sie zählte Doro jetzt einfach mal dazu –, diese Ruhe tat für den Moment gut.
Margot döste ein und erwachte, weil sie fror. Es war dunkel. Zum Glück erhellten die Sterne und der Mond das Szenario. Sie fand den Weg zum Auto.
Als sie einstieg, sah sie, dass sie das Handy auf dem Beifahrersitz hatte liegen lassen.
Sie nahm es auf. Acht neue Mitteilungen. Neun Anrufe in Abwesenheit. Die erste SMS von ihrem
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