Opferlämmer
Stromleitungen habe bei ihm Krebs verursacht«, erklärte Rhyme. »Und nun will er sich rächen.
Es könnte außerdem eine Ökoterrorgruppe darin verwickelt sein. Sie hat ihn vielleicht angeworben, weil sie gegen die herkömmlichen Energieunternehmen angehen will. Wir wissen es noch nicht. Jedenfalls nicht mit Sicherheit.«
»Und um seinen Standpunkt zu verdeutlichen, bringt er Unschuldige um?«, rief Susan empört. »Was für ein Heuchler.«
»Er ist ein Fanatiker«, sagte Sachs. »Seine Scheinheiligkeit ist ihm nicht bewusst. In seiner Welt ist er der Gute. Und wer oder was auch immer ihm in die Quere kommt, ist böse. Ganz einfach. «
Rhyme warf Sachs einen Blick zu. Sie erkannte den Wink.
»Sie haben gesagt, Sie könnten uns womöglich weiterhelfen«, wandte sie sich an Susan.
»Ja. Ich glaube, ich habe ihn gesehen.«
»Bitte fahren Sie fort«, ermutigte Rhyme sie – ungeachtet seiner Skepsis in Bezug auf Zeugen.
»Er ist auf meiner Etage mit uns in den Aufzug gestiegen.«
»Und Sie glauben, das war Galt? Warum?«
»Weil er Wasser verschüttet hat. Versehentlich, so schien es, aber jetzt weiß ich, dass er es mit Absicht gemacht hat. Um die Leitfähigkeit zu verbessern.«
»Deshalb waren die Schuhsohlen nass«, sagte Sachs. »Natürlich. Wir haben uns schon gewundert, wie es dazu kommen konnte.«
»Er war wie ein Wartungsmonteur angezogen, und er hatte eine Gießkanne für Pflanzen dabei. Sein Overall war braun und ziemlich schmutzig. Das kam mir irgendwie merkwürdig vor. Außerdem gibt es dort auf den Fluren nirgendwo Pflanzen und in unserem Büro auch nicht.«
»Sind noch Leute von uns da?«, fragte Rhyme.
»Vielleicht von der Feuerwehr«, sagte Sachs. »Die Polizei nicht mehr.«
»Sie sollen den Hausverwalter anrufen und notfalls aufwecken
und ihn fragen, ob jemand sich um die Pflanzen kümmert. Und ich will die Aufnahmen der Überwachungskameras sehen.«
Einige Minuten später erhielten sie ihre Antwort: Weder die Hausverwaltung noch eine der Firmen im siebten Stock hatte jemanden damit beauftragt, die Pflanzen zu gießen. Überwachungskameras gab es nur in der Lobby, und ihre Weitwinkelobjektive waren nutzlos. »Da sieht man bloß, dass ein Haufen Leute kommt und geht«, berichtete einer der Branddirektoren. »Einzelne Gesichter sind nicht zu erkennen.«
Rhyme holte Galts Führerscheinfoto auf den Bildschirm. »Ist er das?«, fragte er Susan.
»Könnte sein. Er hat uns nicht angesehen und ich ihn auch nicht so genau.« Ein wissender Blick zu Rhyme. »Sein Gesicht war nicht unbedingt auf meiner Augenhöhe.«
»Können Sie sich noch an irgendetwas anderes erinnern?«
»Während er auf den Aufzug zugegangen und in die Kabine eingestiegen ist, hat er die ganze Zeit auf seine Uhr geschaut.«
»Die Frist«, sagte Sachs. »Trotzdem hat er vor Ablauf zugeschlagen. «
»Nur ein paar Minuten«, sagte Rhyme. »Vielleicht hat er befürchtet, jemand im Gebäude könnte ihn erkennen. Er wollte fertig werden und abhauen. Außerdem hat er wahrscheinlich die Leitungen der Algonquin überwacht und erkannt, dass die Firma seine Forderung nicht erfüllen würde.«
»Er hat Handschuhe getragen«, fuhr Susan fort. »Aus gelbbraunem Leder… Die waren für mich auf Augenhöhe. Und ich kann mich an sie erinnern, weil ich noch gedacht habe, dass seine Hände darin schwitzen müssen. Es war so warm in der Kabine.«
»Hatte sein Overall irgendeine Aufschrift?«
»Nein.«
»Sonst noch was?«
Sie zuckte die Achseln. »Das hilft Ihnen zwar nicht weiter, aber er war unhöflich.«
»Unhöflich?«
»Er hat sich im Aufzug grob an mir vorbeigedrängt, ohne sich irgendwie dafür zu entschuldigen.«
»Hat er Sie dabei berührt?«
»Nicht mich.« Sie nickte nach unten. »Den Rollstuhl. Es war ziemlich eng.«
»Mel!«
Der Kopf des Technikers ruckte zu ihnen herum.
»Susan, dürfen wir die Stelle an Ihrem Stuhl untersuchen?«, bat Rhyme.
»Aber gern.«
Cooper nahm die Seite des Rollstuhls sorgfältig mit einem Vergrößerungsglas in Augenschein. Rhyme konnte nicht genau erkennen, was er fand, aber der Techniker entfernte mit einer Pinzette etwas von zwei Schrauben an einer der senkrechten Streben.
»Was ist das?«
»Fasern. Eine dunkelgrüne und eine braune.« Cooper betrachtete sie unter dem Mikroskop und zog dann eine Computerdatenbank zurate. »Baumwolle, auffallend strapazierfähig. Vielleicht aus Militärbeständen.«
»Reichen die Proben für einen Test?«
»Aber ja.« Cooper und Sachs schickten
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