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Opferlämmer

Opferlämmer

Titel: Opferlämmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Imbissstuben und Taxizentralen, deren Schilder in Spanisch, Arabisch oder Farsi beschriftet waren. Hier gab es keine hektischen Geschäftsleute wie im West Village; die Leute hier – überwiegend Männer – bewegten sich generell nicht viel, sondern saßen einfach da, auf klapprigen Stühlen oder den Treppen vor den Häusern, die Jungen schlank, die Alten dick. Und alle behielten sie ihr Umfeld argwöhnisch im Blick.
    Hier fand die eigentliche Arbeit der Straße statt. Dies war Fred Dellrays Büro.
    Er ging zum Fenster eines Cafés und schaute hinein – was gar nicht so einfach war, denn man hatte die Scheibe schon seit Monaten nicht mehr geputzt.
    Ah ja, da. Er entdeckte, was entweder seine Rettung oder sein Untergang sein würde.
    Seine letzte Chance.
    Dellray drückte unauffällig einen Fußknöchel kurz gegen den anderen, um sich zu vergewissern, dass die dort umgeschnallte Pistole nicht verrutscht war. Dann öffnete er die Tür und betrat das Lokal.

… Elf
    »Wie geht es dir?«, fragte Sachs, als sie zur Tür des Labors hereinkam.
    »Gut«, erwiderte Rhyme lakonisch. »Wo sind die Beweise?«
    »Die Techniker und Ron bringen sie her. Ich bin mit dem Cobra schon mal vorgefahren.«
    Was wohl hieß, dass sie wie eine Verrückte gerast war.
    »Und wie fühlst du dich?«, fragte Thom.
    »Nass.«
    Das verstand sich von selbst. Ihr Haar war weitgehend getrocknet, aber die Kleidung war nach wie vor durchweicht. Davon abgesehen ging es ihr gut, das hatten sie bereits besprochen. Rhyme hatte seinen Schreck vollständig überwunden und wollte sich nun so schnell wie möglich an die Arbeit machen.
    Aber heißt das nicht umgekehrt, dass die fünfundvierzigprozentige Chance besteht, jemand anders könnte irgendwo in New York durch einen Stromschlag geröstet werden? … Und womöglich geschieht es genau in diesem Moment.
    »Tja, wo bleiben …?«
    »Was war los?«, wandte Sachs sich an Thom.
    »Ich sagte doch, es geht mir gut.«
    »Ich habe ihn gefragt«, herrschte sie Rhyme an.
    »Sein Blutdruck ist rapide gestiegen.«
    »Aber jetzt ist er wieder normal, Thom, oder etwa nicht?«, warf Lincoln Rhyme gereizt ein. »Mit dem Blutdruck ist alles wieder in bester Ordnung. Das ist irgendwie so, als würdest du
feststellen, die Russen hätten Raketen auf Kuba stationiert. Das war mal ein Problem. Aber da Miami kein radioaktiver Krater ist, dürfte das Problem sich mittlerweile erledigt haben, nicht wahr? Es – ist – vorbei! Ruf Pulaski und die Techniker aus Queens an. Ich will die Beweise.«
    Der Betreuer ignorierte ihn. »Er hat keine Medikamente gebraucht«, sagte Thom zu Sachs. »Aber ich behalte ihn weiter im Blick.«
    Sachs nahm Rhyme erneut prüfend in Augenschein. Dann sagte sie, sie würde nach oben gehen und sich umziehen.
    »Stimmt was nicht?«, fragte Lon Sellitto, der einige Minuten zuvor aus Downtown eingetroffen war. »Fühlst du dich nicht wohl, Linc?«
    »O Herr im Himmel!«, stöhnte Rhyme auf. »Sind denn alle taub? Hört mir überhaupt irgendjemand zu?« Dann schaute er zur Tür. »Na endlich. Kommen wir zu etwas Sinnvollem. Verdammt, Pulaski, wenigstens Sie leisten produktive Arbeit. Was haben wir?«
    Der junge Beamte, der wieder seine Uniform trug, schob eine Sackkarre mit Plastikkisten herein, in denen die Spurensicherung für gewöhnlich die Beweismitteltüten transportierte.
    Gleich darauf folgten zwei Techniker aus der Zentrale in Queens und brachten einen großen, in Plastikfolie gewickelten Gegenstand: das Kabel. Es handelte sich um die seltsamste Waffe, die Rhyme bei seinen Fällen bisher untergekommen war. Und um eine der tödlichsten. Die Männer trugen außerdem die Luke aus dem Keller des Umspannwerks herein, die man ebenfalls in Folie eingepackt hatte.
    »Pulaski? Was war mit dem Café?«
    »Sie hatten recht. Da war was, Sir.«
    Der Kriminalist zog eine Augenbraue hoch, um den Beamten daran zu erinnern, dass eine so förmliche Anrede unnötig war. Als ehemaliger Captain des NYPD hatte Rhyme so wenig
Anrecht auf einen Dienstrang oder ein »Sir« wie jeder beliebige Passant. Und er hatte sich bemüht, Pulaski die vereinzelten Unsicherheiten auszutreiben – sie hatten natürlich mit der Jugend des Mannes zu tun, aber das war noch nicht alles: Im Verlauf ihres ersten gemeinsamen Falls hatte Pulaski eine schwere Kopfverletzung erlitten und dadurch beinahe seinen Beruf aufgeben müssen. Doch er hatte sich durchgebissen und war dabeigeblieben, trotz der Anfälle von Verwirrung und

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