Opfermal
Schauspielerin plötzlich so einsam wie noch nie.
Sicher, sie hatte eine zunehmende Entfremdung von ihren Freunden schon zum Ende des letzten Jahres gespürt, als sie noch im zweiten Jahr studiert hatte und die Stücke für die kommende Spielzeit offiziell angekündigt wurden. Lady Macbeth war die Rolle, nach der alle Mädchen gierten, und Cindy riss sich den Arsch auf, um sie zu bekommen. Sie übte den Sommer über zwischen ihrem Vormittagsjob in der Tagespflegeeinrichtung und ihrem Abendjob als Bedienung im Chili’s alle Textstellen von Lady Macbeth ein. Sie übte weiter bis in den Herbst hinein, und als es im folgenden Frühjahr zum Vorspielen kam, schlug die gereifte Juniorin alle Konkurrentinnen aus dem Feld – und sorgte dafür, dass kein Raum für irgendwelchen Klatsch blieb, sie habe die Rolle nur bekommen, weil Kiernan sie vögeln wollte.
Hochgewachsen und schlank, mit tintenschwarzem Haar und vollen, runden Lippen hielt sich Cindy Smith für eine attraktive Frau, das wohl, aber eigentlich für nichts Besonderes. Sie hatte nur einen Freund in der Highschool gehabt, mit dem sie noch während ihres ganzen ersten Jahrs an der Harriot zusammen gewesen war – bis sie herausfand, dass er sie mit einem Mädchen aus einer Studentenverbindung betrog, weil sie, wie er sagte, »ihm nicht genug Aufmerksamkeit schenkte«.
Na, wenn das nicht geradezu strotzte vor Ironie!
Am Ende war sie jedoch froh über die Trennung. In ihrem Innern wusste sie, dass sie kaum Gemeinsamkeiten hatten, da er ein Sportler war und sie eine »Theatertussi«. Und auch wenn sie anderthalb Jahre später selbstbewusst genug war, das Klischeehafte an der ganzen Geschichte zu sehen, schmerzte sie der Betrug noch so sehr, dass sie die Männer im Fachbereich auf Armeslänge hielt – vor allem den egomanischen Darsteller des Macbeth.
Das Arschloch hieß Bradley Cox, ein Viertsemester, der noch weit bis zu seinem Abschluss hatte und die Hauptrolle nur deshalb bekommen hatte, weil die Konkurrenz unter den Männern so überschaubar war. Das Syndrom »Großer Fisch im kleinen Teich«, wie ihre Mutter es nannte.
Cindy fand, dass Bradley Cox ebenso ein Klischee war wie ihr Exfreund – der Typ große Nummer auf dem Campus, der damit prahlte, jedes Mädchen im Fachbereich ins Bett zu kriegen. Die Sorte Kerle, die es im College leicht hatten, die ihr Mangel an Talent und ihre absolute Mittelmäßigkeit im richtigen Leben jedoch schwer treffen würde. Cindy hätte gewettet, dass er am Ende im Bauunternehmen seines Vaters landete. Bradley hatte Cindy zu Beginn des Herbstsemesters eingeladen – er hatte gesagt, sie würde aussehen wie Angelina Jolie, und er wolle in seinem Appartement für sie kochen. Cindy lehnte höflich ab und wiederholte es eine Woche später bei einer Ensembleparty, woraufhin ein betrunkener Cox sie eine »verklemmte Nutte« nannte und sagte, er würde sie nicht mit George Kiernans Schwanz ficken.
Danach ließ er sie in Ruhe und wechselte das ganze Jahr keine zwei Worte mit ihr. Allerdings erwischte sie ihn, wie er bei der ersten Leseprobe von Macbeth höhnisch einem seiner Kumpel zuzwinkerte, weil Cindy ihren gesamten Text bereits auswendig konnte. Ihre heimliche Rache bekam sie zwei Wochen später, als Kiernan sie zur Seite nahm und sagte: »Wissen Sie, Cindy, das Stück heißt zwar Macbeth, aber die Darstellung, an die man sich erinnern wird, ist die von Ihnen.«
Sie hatte das wirklich zu schätzen gewusst, doch gleichzeitig gefiel ihr die Vorzugsbehandlung nicht, die sie ständig von Kiernan bekam.
So wie die private kleine Besprechung heute Abend.
Cindy schaltete ihre Nachttischlampe ein und schlich auf Zehenspitzen zu ihrem Schreibtisch, ohne auf das knarrende Bodenbrett an der Ecke des Betts zu treten, damit sie ihre Mutter unten nicht weckte.
Cindy war in Greenville zur Welt gekommen und aufgewachsen und wohnte immer noch zu Hause. Sie war nicht stolz darauf, aber sie wusste, es würde sich alles bezahlt machen, wenn sie nach New York zog, um ihre Schauspielkarriere zu verfolgen. Sie hatte in den drei Jahren Jobben im Chili’s schon fast viertausend Dollar gespart. Sie bezahlte ihre Studiengebühren über Stipendien und durch ihre Arbeit an der Theaterkasse und brauchte ihren Vater, dieses Arschloch, um keinen Cent anzubetteln. Sie hatte seit Weihnachten nicht einmal mehr geredet mit dem Hurensohn, wie ihr jetzt bewusst wurde, und obwohl die Schrottkarre von Pontiac Sunfire, die er ihr zum sechzehnten Geburtstag
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