Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
Vom Netzwerk:
ähnlich wie die Dewey-Dezimalklassifikation dabei half, sich in einer Bibliothek zu orientieren.
    Sie schrieb die Nummer auf einen Notizzettel, dann fuhr sie den Computer herunter und machte sich auf den Weg zur Asservatenkammer.
    Ein schläfrig dreinblickender Sergeant hatte Dienst. Er saß hinter einer Theke und war in eine Ausgabe der New York Post vertieft. Pearl zeigte ihre Dienstmarke und trug sich ein, und der Sergeant widmete sich wieder einem Artikel, der aussah, als würde er von Anna Caruso handeln.
    Pearl ging durch eine hölzerne Schwingtür und betrat einen vergitterten Bereich in einem fensterlosen Raum, der vor über zwanzig Jahren an die Polizeiwache angebaut worden war.
    Es war nicht schwer, den Computer zu finden. Er stand, in Plastikfolie verpackt, auf dem zweiten von einer Reihe Metallregalen. Pearl blickte sich um. Um diese Uhrzeit war sie allein. Sie hatte ihre Ruhe.
    Sie glich die Nummer auf dem Etikett mit der auf ihrem Zettel ab, dann zog sie den Computer aus dem Regal und drehte ihn um. Nachdem sie ungefähr einen Meter Klebeband abgezogen hatte, konnte sie die Plastikfolie von dem Computer entfernen.
    Pearl hatte sich nicht getraut, einen Schraubendreher von einem der Techniker zu leihen, aber sie hatte das Schweizer Taschenmesser dabei, das sie immer in ihrer Handtasche mit sich trug.
    Der Schraubendreher des Messers erfüllte seinen Zweck. Es dauerte weniger als zehn Minuten, die rechteckige Metallverschalung des Computers aufzuschrauben und zu entfernen, die Festplatte herauszunehmen und die Abdeckung wieder anzuschrauben. Nach ein paar weiteren Minuten hatte sie den Computer wieder in die Plastikfolie verpackt und auf seinen Platz im Regal zurückgestellt.
    Die Festplatte war aus glänzendem Metall und ungefähr so groß wie ein Taschenbuch. Sie steckte sie in ihren Hosenbund unter der Bluse und ging zurück zum Büro.
    »Ich gehe«, sagte sie zu Sergeant Rudd, der immer noch mit seinem Papierkram beschäftigt war.
    »Warum? Geben dir die Kids das Gefühl, ein bisschen dumm zu sein?«
    »Ich fürchte ja.« Sie grinste.
    »Früher war es so«, meinte Rudd, »dass die Leute mit dem Alter klüger wurden.«
    »Das war immer nur ein Gerücht«, sagte Pearl, bevor sie die schwere Tür aufstieß und nach draußen in den heißen Morgen trat.
    Während sie zu ihrem Auto ging, warf sie einen Blick auf die Uhr. Noch nicht ganz acht. Wenn sie sich recht erinnerte, öffnete die Börse nicht vor halb zehn. Wenn sie sich beeilte und nicht irgendwo im Verkehr stecken blieb, sollte es reichen.
    Natürlich würde sie schneller an ihr Ziel gelangen, wenn sie das Blaulicht und die Sirene benutzte. Das Problem war nur, dass sie keine Rufbereitschaft hatte und es sich nicht um einen Notfall handelte, deshalb war es streng genommen gegen die Vorschriften.
    Pearl beschloss, das Blaulicht und die Sirene einzuschalten.
    Als sie den Wohnblock erreichte, in dem Michelle Quinn wohnte, zeigte die Uhr auf dem Armaturenbrett acht Uhr fünfzig. Die Börse würde erst in vierzig Minuten öffnen, es war also möglich, dass Michelle noch in ihrer Wohnung war.
    Pearl parkte ihren Wagen im absoluten Halteverbot und joggte über die Straße zu Michelles Mietshaus. Es war das erste Mal, dass sie es sah. Ihre anderen Treffen mit Michelle hatten in einem Café in der Nähe ihres Büros im Finanzdistrikt stattgefunden. Es war ganz offensichtlich ein teures Wohnhaus, mit einem uniformierten Portier, der aussah wie der Diktator eines kleinen Landes. Michelle musste ihren Job als Aktienanalystin ganz gut beherrschen. Wenn es stimmte, was Pearl so hörte, musste jeder Aktienanalyst, der nach der letzten Börsenbaisse nicht im Gefängnis saß und noch immer einen Job hatte, seine Arbeit ganz gut beherrschen.
    Sie sagte dem Portier ihren Namen und wen sie besuchen wollte. Er studierte den winzigen Bildschirm seines tragbaren Minicomputers, den er aus einer versteckten Tasche seiner Jacke gezaubert hatte, und zog eine Augenbraue nach oben.
    »Sie erwartet mich nicht«, sagte Pearl.
    Sie trat einen Schritt zurück und bewunderte seine Schulterklappen, während er oben anrief, um zu sehen, ob Michelle Quinn zu Hause war und Besucher empfing, die so gekleidet waren wie Pearl.
    Sie war es und sie tat es.
    Quinns Schwester stand in der offenen Tür, damit Pearl die Wohnung leichter finden konnte. Sie war für die Arbeit gekleidet – ein graues Nadelstreifenkostüm und eine hellgraue Bluse –, oder besser gesagt, um zur Arbeit zu gehen:

Weitere Kostenlose Bücher