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Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
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an den Füßen trug sie weiße Turnschuhe, die im scharfen Kontrast zu ihrem düsteren Outfit standen. Pearl wusste, dass Michelle wie viele New Yorker Geschäftsfrauen ihre konservativen, ungemütlichen Schuhe in ihrer Handtasche tragen würde, bis sie im Büro ankam.
    Als Pearl auf sie zuging, lächelte Michelle und streckte ihr die Hand entgegen. »Was Wichtiges?«
    »Vielleicht. Ich will Sie nicht lange stören«, sagte Pearl, während sie sich die Hände schüttelten.
    »Wenn es um Frank geht, können Sie mich gerne auch lange stören.« Michelle führte sie in ihre geräumige und geschmackvoll eingerichtete Wohnung, die einen herrlichen Ausblick über die sonnenbeschienene Stadt und den Hudson River bot. Durch die Fenster fiel kristallenes Licht, dass durch die gekippten Scheiben noch intensiver zu werden schien, und es duftete leicht nach Flieder.
    »Nett haben Sie’s hier«, sagte Pearl und schnitt innerlich eine Grimasse angesichts ihrer Untertreibung. Die meisten Leute in Manhattan wären bereit, über Leichen zu gehen, um in einer solchen Wohnung leben zu können. Pearl, zum Beispiel.
    Michelle bot ihr Kaffee an, aber Pearl lehnte ab; keine der beiden Frauen hatte Zeit zu verlieren.
    Sie gingen durch das Wohnzimmer in die Bibliothek, die mit Möbeln aus massivem Holz und der Art von weichem Leder ausgestattet war, das schon abgenutzt wirkte, wenn man es kaufte. Auf einem breiten Schreibtisch aus Walnussholz stand ein blaugrauer Computer, der aussah, als stammte er direkt von der Kommandobrücke des Raumschiffs Enterprise . Michelle deutete auf einen Stuhl, aber Pearl lehnte wieder ab und griff in ihre Handtasche. Sie zog die Festplatte heraus, die sie aus Quinns altem Computer ausgebaut hatte. »Das ist …«
    »Ich weiß, was das ist«, unterbrach Michelle sie. Vorsicht hatte sich in ihre Stimme geschlichen. Sie warf Pearl einen Blick zu, der sie an den erinnerte, mit dem Quinn sie manchmal bedachte.
    »Ich werde Ihnen nicht erzählen, wie sie in meine Hände gelangt ist«, sagte Pearl, die wusste, was Michelles Problem war, »aber ich werde Ihnen sagen, woher sie stammt. Sie gehört zu dem Computer, der auf dem Schreibtisch Ihres Bruders gestanden hat, als seine Probleme anfingen.«
    Michelle starrte auf das kleine rechteckige Metallkästchen und runzelte die Stirn. Pearl war sich nicht sicher, was sie dachte, aber sie hätte ihr gerne gesagt, dass sie sich nicht so anstellen sollte; immerhin war es ein Cop, der ihr das Ding gab. Es handelte sich nicht um den Enron-Skandal, der wieder von vorne losbrach.
    Wobei es auf einer persönlichen Ebene noch viel schlimmer werden könnte.
    Michelle kam näher, streckte die Hand aus und nahm die Festplatte mit festem Griff. Offensichtlich war ihr vollkommen bewusst, dass jetzt ihre Fingerabdrücke darauf waren. Michelle war keine Frau, die leichtfertig Entscheidungen traf, sondern sorgfältig das Für und Wider abwog.
    »Ich bin sicher, dass viel gelöscht worden ist«, sagte Pearl, die sich jetzt viel besser fühlte, was Michelle betraf. Quinn hatte gesagt, dass man ihr absolut vertrauen konnte, sie war nicht nur seine Schwester, sondern auch seine beste Freundin.
    »Kaum etwas ist jemals wirklich gelöscht«, meinte Michelle, »außer der, der es tut, weiß, wie es funktioniert. Oder wenn der, der versucht, die Daten wiederherzustellen, nicht weiß, wie es geht. Die Gefängnisse sind voll mit Leuten, die fälschlicherweise gedacht haben, sie hätten belastende Beweise von ihrem Computer gelöscht.«
    »Ich habe auf meinem eigenen Computer gesehen, dass er eine Art Logbuch darüber führt, wann ich welche Seiten im Internet besucht habe. Ein chronologisches Protokoll darüber, wo ich gewesen bin. Wenn Sie in der Lage wären, sie chronologisch anzuordnen …« Pearl wurde zunehmend bewusst, dass sie keine Ahnung hatte, wovon sie sprach. Nicht genug auf jeden Fall. Aber war sie nicht genau deswegen hier?
    Michelle starrte sie an und wartete.
    Pearl redete weiter. »Wenn Sie diese Zeiten, Tage und Orte im Internet, die Kinderpornoseiten, wiederherstellen und sie mit den Dienstzeiten ihres Bruders vergleichen könnten, wären wir vielleicht in der Lage zu beweisen, dass er ganz woanders war, als zumindest ein paar dieser Seiten aufgerufen wurden.« Pearl blickte sie ruhig an und versuchte, intelligent auszusehen. Diese Michelle war furchteinflößend. »Ist irgendetwas davon auch nur im Entferntesten möglich? Ist es möglich, dass diese Informationen immer noch

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