Opferschrei
aber nicht ganz sicher. Aus dieser Höhe sieht ein Arschloch aus wie das andere.«
Quinn grinste sie an. Er liebte sie in dem Moment vielleicht genau auf die Art, wie Jubal Day Claire liebte. Ein paar Schauspieler, die gerade nicht auf der Bühne standen.
»Dann mischen wir den Haufen mal auf«, sagte er.
73
Zwei Tage später erfuhr Quinn, warum Egan an jenem Tag im Krankenhaus fast in die Luft gegangen war, nachdem Pearl ihm etwas ins Ohr geflüstert hatte, und warum er seine Drohung nicht wahr gemacht hatte.
Michelle hatte die Festplatte, die Pearl ihr gegeben hatte, dazu benutzt, die belastenden E-Mails und Website-Besuche auf Quinns NYPD -Computer mit Zeiten abzugleichen, zu denen Quinn laut Einsatzberichten ganz woanders gewesen war.
Jemand hatte Quinns Passwort herausgefunden – dazu musste man lediglich einen Blick über seine Schulter werfen, während er sich einloggte – und seinen Computer benutzt.
Natürlich war Michelle in den Diebstahl der Festplatte verwickelt, und Pearl hatte die eigentliche Tat begangen. Aber wenn Egan eine der beiden anzeigen würde, dann konnten sie ihn mit sich reißen. Sie konnten ihn sogar noch tiefer stürzen lassen, als sie selbst fallen würden.
Egan hatte keinen Verhandlungsspielraum, und das wusste er. Die einzige Möglichkeit, zu verhindern, dass die von der Festplatte gewonnen Informationen veröffentlicht wurden, war, den wahren Vergewaltiger Anna Carusos preiszugeben und damit Quinn von den Vorwürfen zu befreien. Mercer, der wahre Vergewaltiger, hatte Quinns Narbe am Unterarm nachgebildet und dafür gesorgt, dass Anna sie sah. Aus Quinns Spind hatte er einen Knopf von seinem Hemd geklaut und ihn am Tatort zurückgelassen. Mercer würde zwar versuchen, Egan mit hineinzuziehen, doch ohne die Festplatte gab es keine eindeutigen Beweise, dass Egan etwas mit der Sache zu tun hatte.
Die Vergewaltigung hatte dazu gedient, Quinn loszuwerden und die internen Ermittlungen gegen Egan, Mercer und ein halbes Dutzend anderer Cops zu stoppen, die in eine Schmiergeldaffäre im Drogenmilieu verwickelt waren.
Die Ermittlungen würden wieder aufgenommen werden, und keiner konnte wissen, wie sie ausgehen würden.
Wenn Egan halbwegs heil aus der Sache rauskommen wollte – auch wenn er sicherlich nicht verhindern konnte, dass sein Ruf ruiniert war –, dann musste er das NYPD verlassen, wenn sie ihn nicht ohnehin feuern würden.
Er war, kurz gesagt, genau dort, wo Quinn gewesen war.
Vielleicht sogar an einem schlimmeren Ort.
Anna Caruso entschuldigte sich öffentlich bei Quinn, der zum NYPD zurückkehrte. In allen Zeitungen sah man Bilder von den beiden, wie sie sich – umringt von lächelnden NYPD -Honoratioren – umarmten.
Am Tag zuvor hatte Anna den Revolver ihres Vaters, mit dem sie auf der First Avenue auf Quinn geschossen hatte – an dem Abend, an dem er sie zu Fuß verfolgt und fast geschnappt hätte, wenn sein Herz nicht verrückt gespielt hätte –, in einem Regenwasserkanal versenkt.
Anna beschloss, das Leben als eine Folge von Beinaheunfällen und manchmal auch Zusammenstößen zu betrachten, gegen die man nichts ausrichten konnte. Das Einzige, was man tun konnte, war, sie zu vergessen und mit dem Leben weiterzumachen. Und zu musizieren.
Dr. Jeri Janess war zufrieden mit den Fortschritten, die sie mit ihrem neuen Patienten machte. Er war zu ihr gekommen und hatte ihr gestanden, was ihn so quälte: seine Drogensucht und das zunehmende Bedürfnis, sadistische Beziehungen mit willigen Partnerinnen einzugehen. Unausweichlich zerstörte ihn das Schikanieren seiner Opfer innerlich. Jetzt versuchte er, seine Zwänge in den Griff zu bekommen, und Dr. Janess sollte ihm dabei helfen. Er schenkte ihr so viel Vertrauen, dass er ihr schließlich seinen richtigen Namen offenbarte: Lars Svenson.
Nachdem Svenson ihre Praxis verlassen hatte, lehnte sich die Ärztin in ihrem Schreibtischstuhl zurück und konnte sich ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen. Sie schaltete ihr Diktiergerät ein, um die Sitzung kurz zusammenzufassen, so wie sie es immer im Anschluss daran tat. Sie nannte den Namen des Patienten und das Datum und hörte die Hoffnung in ihrer eigenen Stimme, als sie sagte: »Wir kommen voran …«
May Quinn heiratete Elliott Franzine bei einer kleinen, privaten Zeremonie in einer Kapelle an der kalifornischen Küste. Quinn wusste nicht, ob er ihnen ein Hochzeitsgeschenk schicken sollte. Pearl meinte, nur wenn es explodiert.
Sie entschieden sich für eine
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