Opferschrei
spendieren.«
Quinn lachte und gab der Frau mit dem gewagten Tattoo ein Zeichen. »Nester, ich wette, Sie waren ein verdammt guter Cop.«
»Bin ich immer noch«, entgegnete Nester. »Bei unserem Beruf ist man doch nie wirklich im Ruhestand, oder?«
»Darauf können wir trinken«, sagte Quinn.
*
Claire stand mit verschränkten Armen in der Mitte des leeren Zimmers und schaute sich zufrieden um.
Das war das Zimmer des Babys, und bald würde es auch so aussehen, nachdem es renoviert worden war. Im Moment wirkte es nicht besonders eindrucksvoll. Jetzt, da die Möbel weg waren, zeigten sich Risse in der Tapete und überall waren Kratzer und Kerben in der Farbe. Die Möbelpacker hatten gewusst, dass der Raum neu gemacht werden würde und deshalb keine Rücksicht genommen, als sie die Möbel herumgeschoben hatten. Die Fenster waren schmutzig und die alten Rollos ließen nicht genug Licht durch. Die glanzlose Deckenlampe aus Messing, die wahrscheinlich noch ein Originalteil des 1920 errichteten Hauses war, spendete kaum genug Licht, um die bleichen Schatten zu vertreiben.
Doch Claire hatte eine genaue Vorstellung davon, wie der Raum aussehen sollte: leuchtend gelbe Farbe, ein weißer Gartenzaun an einer der Wände, durch dessen Latten Gänseblümchen und rote Geranien lugten. Neue Rollos und weiße Vorhänge. Es würde ein heller, freundlicher Raum werden, ein Ort des Optimismus und Neubeginns. Und nachts, wenn die neue Deckenlampe ausgeschaltet war, würden künstliche Sterne, die am Tag unsichtbar waren, an der Decke funkeln, exakt so angeordnet wie am echten Nachthimmel. Etwas, was ihr Baby von frühster Kindheit an bewundern konnte.
Ihr Baby.
Ihr Kind – ihr und Jubals Kind – fing an, ihre Gedanken immer mehr einzunehmen, auch wenn da noch ihre Hochzeit war, über die es nachzudenken galt. Zu den merkwürdigsten und unwahrscheinlichsten Zeiten am Tag träumte sie von dem Kind, das sie in sich trug, und fragte sich, wie es wohl sein würde. Die Gedanken über das Baby und seine Zukunft überfielen sie jetzt sogar schon auf der Bühne, auch wenn sie bisher Gott sei Dank noch nicht ihre Performance beeinträchtigt hatten.
Man sah ihr die Schwangerschaft noch nicht an. Wenn sie schwanger hätte werden müssen, hätte ihr Timing nicht besser sein können. Sie war sich sicher, dass sie noch Wochen in Hail to the Chef auftreten konnte, vielleicht sogar noch eine Weile, nachdem der Babybauch sichtbar geworden war. Ihre Rezensionen waren gut genug, und es wurden immer noch viele Karten verkauft. Danach hatte sie nichts gegen eine längere Pause vom Showgeschäft. Zeit, um Mama zu spielen.
Manchmal konnte sie es kaum erwarten, endlich einen Ultraschall machen lassen zu können, um das Geschlecht des Babys zu erfahren.
Oder wollten Jubal und sie es überhaupt wissen?
Aber das konnten sie noch später entscheiden. Claire war jetzt glücklich und lebte für den Moment; das war es, was wirklich zählte. Sie hätte nicht gedacht, dass ihr die Schwangerschaft so viel bedeuten würde. Es musste etwas dran sein an all dem Gerede über den Einfluss der Hormone auf das Verhalten einer Frau.
Manchmal hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil ihre Vorfreude auf ihre und Jubals Hochzeit nicht größer war. Es würde eine kurze, schlichte Zeremonie in einer Kirche in der West Village geben, zu der nur ein paar Freunde und Verwandte eingeladen waren. Claires alte Freundin aus Wisconsin, Sophie Murray, würde herfliegen und ihre Trauzeugin sein, während Jubal seinen Kollegen Clay Simms zum Treuzeugen bestimmt hatte. Es war nicht so, dass Claire die Hochzeit gleichgültig war; es war nur so, dass die Zeremonie für sie nichts weiter bedeutete als eine Formalität. Sie und Jubal hätten genauso gut auch schon die letzten vier Jahre verheiratet sein können.
Jetzt war es das Baby, das Claire alles bedeutete – sogar mehr als ihre Karriere. (Und das war etwas, womit Claire niemals gerechnet hätte!) Sie wusste, dass sie das Jubal nicht richtig erklären konnte, er würde es nicht verstehen. Aber vielleicht würde sich das ändern, wenn das Baby erst einmal auf der Welt war. Da war sie sich sogar ziemlich sicher.
Diese Gewissheit trug auch dazu bei, dass sie glücklicher war als je zuvor. Ihre Schauspielerei, ihre Beziehung mit Jubal, ihre Schwangerschaft: Alles in ihrem Leben passte zusammen.
Claire hatte eine richtige Glückssträhne – in jeglicher Hinsicht.
Und es wurde immer besser.
45
Irgendwo in diesem Chaos muss doch
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