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Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
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nicht sicher; dann würden sie darüber nachdenken – ob sie es wollten oder nicht –, und schließlich würden sie bei der Polizei anrufen.
    Normalerweise lagen sie falsch mit ihren Verdächtigungen. Jedes Foto, vor allem, wenn es sich um eine alte Schwarz-Weiß-Aufnahme handelte, konnte vielen Leuten ähnlich sehen.
    Doch eines Tages würde einer der Anrufer recht haben. Der erwachsene Luther Lunt würde identifiziert sein. Und zu einem Zeitpunkt, den Quinn festlegte, würden sie aufeinandertreffen.
    Quinn stand auf und streckte sich, bis seine schmerzende Wirbelsäule leise knackte und er sich besser fühlte. Dann ging er zum Telefon im Wohnzimmer, wo er sich wieder hinsetzen konnte, aber in einen weichen Sessel.
    Es war an der Zeit, Luther Lunt berühmt zu machen.
    *
    Der Night Prowler starrte mit Entsetzen und Wut auf den Fernsehbildschirm. Erst war das Foto in den Zeitungen erschienen und hatte ihn wie angewurzelt stehen lassen, als er an einem Kiosk auf dem Broadway vorbeigekommen war. Jetzt zeigte anscheinend jeder Sender das alte Foto in den Abendnachrichten. Da stand ein junger Luther Lunt und lehnte sich an den Baum hinter dem Haus, das sein Heim gewesen war. Nach all der Zeit schien es das Foto eines anderen zu sein, es gehörte zu einer Welt, die der Night Prowler lieber in der Vergangenheit belassen hätte. Cara hatte das Foto aufgenommen, offensichtlich ein Schnappschuss, und es dann irgendwo versteckt und vergessen.
    Und jetzt war es hier, ein Augenblick, eine Realität, auf Papier gebannt und viele Jahre später wieder hervorgeholt, so als ob eine Seite in einem Album umgeblättert worden wäre.
    Ein Foto, von Cara aufgenommen, ein Bruchteil der Zeit in unserer Zeitblase, in der wir gelebt, geliebt und uns gefürchtet haben …
    Das Brummen war wieder da, eine graue Kakophonie aus sämtlichen Farben. Noch war es ganz leise, aber es wurde stetig lauter.
    Als der Night Prowler wieder zum Fernseher sah, erklärte eine ehemalige FBI -Profilerin Luthers Geisteskrankheit mit laienmedizinischen Begriffen und sprach darüber, was für eine Art Mann er heute wahrscheinlich war. Dazu erschienen auf der einen Hälfte des Bildschirms verschiedene Phantombilder von Luther, wie er jetzt aussehen könnte – dick, dünn, mit unterschiedlichen Frisuren und Bärten –, während die ehemalige Profilerin auf der anderen Seite des Bildschirms in ihrem komischen Mischmasch aus Wissenschafts- und Mediensprache weiterjammerte.
    Sie weiß überhaupt nichts über den Menschen, von dem sie da redet! Nichts!
    Genauso wenig wie dieser schrecklich untalentierte Phantombildzeichner!
    Manche Medien lobten den Journalisten, der die Geschichte ans Licht befördert hatte. Aber der Night Prowler wusste, wer es in Wirklichkeit gewesen war, der die Dämonen der Vergangenheit ausgegraben und von der Kette gelassen hatte. Es war der Dämon der Gegenwart – Quinn!
    Natürlich war dem Night Prowler klar, warum. Er sollte glauben gemacht werden, dass Quinn ihm auf den Fersen war, bereit, zuzuschlagen, wenn er nur den leisesten Fehler machte.
    Oder wenn er einen Fehler gemacht hatte !
    Quinn war ein Fährtenleser, ein Jäger, der in der Vergangenheit anfing und sich bis zur Gegenwart vorarbeitete, wo er und sein Opfer sich begegnen würden. Und es war der Druck, den er ausüben konnte, der seine Beute langsamer werden und zögern ließ, bis sie schließlich eine scheinbar harmlose falsche Bewegung machte, die zur Katastrophe führen konnte.
    Die Regeln dieses Spiels, von dem Quinn ausging, dass er es besser beherrschte als seine Beute, waren wie ein geheimer Code. Der Vorteil für Quinn: Der Verfolger konnte sich viele Fehler leisten und das Spiel würde trotzdem weitergehen, während der Verfolgte keinen einzigen Fehler machen durfte, sonst wäre das Spiel vorbei. Der zunehmende Druck auf den Gejagten würde unausweichlich zu dieser Art von fatalem Fehler führen.
    Denkt zumindest Quinn.
    Der Night Prowler nahm die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ab. Er lächelte grimmig. Menschen empfanden Druck auf verschiedene Weise und hatten unterschiedliche Wege, sich Erleichterung zu verschaffen. Weißes Pulver, pinker Sex, grünes Geld, rote Rache, die blauen Augen der Götter …
    Der Night Prowler ging zum Schrank unter dem Spülbecken und tastete in der Dunkelheit nach der Pistole, die er, eingewickelt in ein öliges Tuch, hinter dem Abflussrohr versteckt hatte.
    Er zog die Pistole hervor und starrte sie an. Ein hässliches,

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