Opferschrei
einen Mord handle, führte er sie in eine der hinteren Ecken des Restaurants, um zu verhindern, dass einer der frühen Mittagsgäste herüberschaute und sich durch die Anwesenheit der Polizei den Appetit verderben ließ.
Pearl war höflich, aber machte den Eindruck, als könnte sie jeden Moment ihre Waffe ziehen und »Stehenbleiben!« brüllen. Yves war kooperativ, doch nicht so freundlich wie Chan, und sein Akzent war nicht annähernd so überzeugend.
Er benutzte seinen Akzent, um Chan anzuweisen, an seinen Platz zurückzukehren. So, wie Yves es sagte, klang es, als meine er Chans Platz im Leben.
Als Chan verschwunden war, komplimentierte Yves Pearl in ein winziges, vollgestopftes Büro. Es war nicht annähernd so elegant wie der Essbereich, oder so französisch, obwohl hinter dem Schreibtisch ein großes gerahmtes Farbfoto vom Eiffelturm hing. Es war in einer nebligen Nacht aufgenommen worden, die von den vielen Lichtern der Stadt erleuchtet wurde. Man hätte das Wahrzeichen von Paris nicht besser treffen können.
Yves sagte, dass die Kreditkartenbelege des Tages, an dem Lisa Ide im Restaurant zu Mittag gegessen habe, noch nicht an die Bank weitergeleitet worden seien, deshalb sollte es ein Leichtes sein herauszufinden, wer mit ihr am Tisch gesessen hatte, vorausgesetzt, sie hatten getrennt gezahlt.
Er holte einige gebündelte Stapel Belege aus einem Safe neben seinem Schreibtisch und setzte sich hin, um sie mit seinem Daumen durchzublättern, wie ein Spieler, der sein Geld zählte. Die Belege waren offensichtlich chronologisch geordnet, denn als er bei dem betreffenden Tag angekommen war, wurde er langsamer, bis er schließlich erst einen, dann einen zweiten und einen dritten Beleg aus dem Stapel zog.
Pearl hatte bereits eine Kopie von Lisa Ides unterzeichnetem Beleg, also wartete sie, während Yves die beiden anderen auf einem Drucker kopierte, der mit seinem Computer verkabelt war.
Sie warf einen Blick auf die Kopien, nachdem Yves sie ihr gegeben hatte. Oben standen jeweils Chans Name und die gleiche Tischnummer, daneben das Datum und die Uhrzeit. Und da waren die Unterschriften der beiden Frauen, die zusammen mit der Toten gegessen hatten: Abby Koop und Janet Hofer.
Pearl dachte, Chan hätte ein Smiley neben seine Unterschrift malen sollen, um dem Ort ein bisschen Fröhlichkeit zu verleihen, aber das passte nicht zum Restaurant. Pearl lächelte und bedankte sich bei Yves, während sie aufstand, um ihm die Hand zu schütteln. »Montand«, sagte sie.
Er schaute sie verwirrt an.
»Deshalb kam mir Ihr Name so bekannt vor. Der berühmte französische Schauspieler Yves Montand. Er hat zusammen mit Marylin Monroe in ein paar Filmen gespielt.«
»Ich fürchte, ich habe noch nie von dem Mann gehört«, sagte Yves. »Von Marylin Monroe aber schon.«
»Sind Sie oder waren Sie je Franzose? Ich frage das als Polizistin.«
»Nicht wirklich.« Yves lächelte, aber das Geständnis schien ihn zu schmerzen.
»Das macht nichts«, sagte Pearl.
Und das meinte sie auch so. Sie war glücklich. Sie hatte Namen. Bald würde sie auch Adressen haben. Bald würde sie mit den Frauen reden, die Freundinnen oder zumindest Bekannte von Lisa Ide waren.
Würde Quinn zufrieden mit ihr sein? Mon Dieu!
An der Tür des Büros drehte sie sich um und sagte: »Au revoir.«
»Das höre ich ständig«, seufzte Yves.
Quinn vereinbarte mit Pearl, sich im Nations Café zu treffen, einem multikulturellen Restaurant auf der First Avenue in der Nähe des UN -Hauptquartiers. Sie hatte ihn angerufen und ihm gesagt, dass sie die Informationen hatte, die sie brauchten, und sie die beiden Frauen befragen konnten, die mit Lisa Ide in dem französischen Restaurant in der West Side an dem Tag zu Mittag gegessen hatten, an dem sie und ihr Mann ermordet wurden. Sie waren, wie sich herausstellte, alte College-Freundinnen von Lisa.
Quinn dachte, dass die drei Frauen wahrscheinlich den Großteil des Essens damit zugebracht hatten, die Vergangenheit wiederaufleben zu lassen, ohne sich bewusst zu sein, wie kurz Lisas Zukunft war. Wahrscheinlich konnten sie nur wenig zu ihren Ermittlungen beitragen. Aber Pearl schien stolz zu sein, und sie hatte jedes Recht dazu. Es konnte wirklich befriedigend sein, Detektivarbeit zu leisten und zu wissen, dass man ein paar Zentimeter weitergekommen war. Und mit den beiden Frauen zu sprechen bedeutete, einer Spur zu folgen, auch wenn sie vielleicht zu nichts führen würde.
Je mehr Quinn von Pearls Arbeit sah, desto
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