Opferschrei
ob sein Besitzer Angst hätte, das Quinn ansteckend war. »Hat jemand ein Handy, damit wir einen Krankenwagen rufen können?«
»Ja, ich!«, antworteten verschiedene Stimmen.
Scheiße! Ein Krankenwagen … Notaufnahme. Okay, vielleicht keine schlechte Idee. Stahlbänder, die sich um meine Brust zusammenziehen … so fühlt es sich angeblich an, und es ist tatsächlich so …
» Da bist du, du böser Hund!«
Er spürte ein rosa, nasses, warmes Etwas auf seiner Wange und Nase, dann im ganzen Gesicht.
Werd’ bloß nie Polizeihund, Jeb.
Der Night Prowler stand in dem Wartehäuschen aus Plexiglas, stieg aber in keinen der Busse, die vor ihm am Bordstein hielten, um Fahrgäste ein- oder aussteigen zu lassen. Er lehnte in einer Ecke des Häuschens und blickte über ein Poster hinweg, das für ein Broadway-Stück über Ehe und Untreue warb, durch die durchsichtige Plastikscheibe. Wie passend, dachte der Night Prowler.
Was er über dem Poster sehen konnte, waren die beiden grünen Flügeltüren aus Holz, die zu einer kleinen Backsteinkirche gehörten, die schon seit Jahren in Greenwich Village stand. Es parkten mehr Autos als sonst am Straßenrand, und einen halben Block weiter stand eine weiße Limousine, deren uniformierter Fahrer geduldig hinter dem Lenkrad wartete. Doch das waren die einzigen Anzeichen, dass in der Kirche gerade eine Hochzeit stattfand. Der Chauffeur war damit beschäftigt, eine Zeitung zu lesen, und der Night Prowler war sich sicher, dass er nicht bemerkt hatte, dass einen halben Block weiter jemand an der Haltestelle stand und alle Busse vorbeifahren ließ.
Es war ein schöner Vormittag für eine Hochzeit. Ein goldener und blauer Tag. Der Himmel war wolkenlos, und das klare Licht der Sonne erleuchtete das weiße Holzkreuz auf dem Dach der Kirche, so als ob sie schreien wollte: Sie ist hier! Sie ist hier! Claire Briggs in Weiß, mit Augen so blau wie das Geheimnis des Ozeans, so verlockend, so tief, über das Leben, über den Tod … das alte Wissen … blau und tief bis in die Dunkelheit …
Beide Türen der Kirche öffneten sich gleichzeitig, und zwei Platzanweiser in Smokings bückten sich, um Keile unter die Türen zu schieben, damit sie nicht wieder zufielen. Claire würde herauskommen! Der Night Prowler schluckte seinen Atem, eine Blase des Lebens.
Die Hochzeitsgäste strömten aus der Kirche. Manche trugen Anzüge mit Krawatten, andere waren zwangloser gekleidet, ein paar hatten sogar Jeans an. Freunde aus der Welt des Theaters. Die meisten Frauen waren schick angezogen. Alle lächelten, während sie versuchten, den Anweisungen eines klapperdürren Manns in einem grauen Anzug zu folgen, der wild mit seinen Armen fuchtelte. Sie liefen durcheinander, bis sie schließlich zwei Reihen links und rechts die Steintreppe hinunter bildeten. Die Stufen reichten nicht aus, weshalb sich die Reihen auf den Gehweg erstreckten. Einige Leute, die nichts mit der Hochzeit zu tun hatten, blieben auf der Straßenseite des Night Prowlers stehen und warteten, was wohl passieren würde. Hochzeit? Beerdigung?
Da ist sie!
Claire in einem weißen Hochzeitskleid, neben ihrem frischgebackenen und nicht ganz so hübschen Ehemann Jubal Day! Haben wir in letzter Zeit ein paar Pfunde zugelegt, Jubal?
Der Night Prowler stand regungslos da, sein Atem ging flach, während Braut und Bräutigam unter einem Regen von Vogelfutter (Reis war vor der Kirche verboten, weil er schädlich für Vögel war und keine Lebensmittel verschwendet werden sollten) die Treppe vor der Kirche hinunterstiegen und von beiden Seiten mit Lächeln und Glückwünschen bedacht wurden.
Claire lächelte und hob anmutig die linke Hand, um sich die guten Wünsche aus Luft aus dem Haar zu streifen, bevor sie ihren zurückgeschobenen Schleier wieder zurechtrückte. Trotz der Entfernung konnte der Night Prowler den frischen weißen Duft ihres Shampoos riechen, die Musik ihres Glücks hören. Die Kraft und Weitsicht seines Verstandes waren wirklich faszinierend!
Verblüffend! Ich stehe hier und neben ihr, sehe sie von hier und von dort! Jetzt und später. Zwei Orte zur selben Zeit? Warum nicht. Das nennt man Objektivität. Das nennt man Schicksal. Man kann alles sehen, wenn man in der Lage ist zu sehen. Die Zukunft ist nichts anderes als die Gegenwart, die auf uns zurast.
Er erkannte, dass ein Arzt einen medizinischen Begriff für das hätte, was er dachte, und ein Priester einen theologischen, doch würden sie ihm beide nicht glauben, nicht
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