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Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
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beeindruckter war er von ihrem Tiefblick und ihrer Gründlichkeit. Und desto mehr verstand er ihre unterschwellige Angst und Einsamkeit, die für den Schutzschild verantwortlich waren, den sie um sich herum aufgebaut hatte. Oder beeinflussten seine neuentdeckten Emotionen seine Urteilsfähigkeit? Machte Pearl ihm vielleicht nur etwas vor? Es war so lange her, dass Quinn solche Gefühle für eine Frau empfunden hatte.
    Wie zur Hölle konnte sich ein Mann sicher sein?
    Was Quinn wusste, war, dass Pearl sich nichts gefallen ließ und nichts einfach nur so zum Spaß tat. Und Pearl konnte kompliziert sein. Genau deshalb hatte er sich von ihr angezogen gefühlt. Okay, vielleicht nicht von Anfang an …
    Quinn grübelte weiter darüber nach, während er an der Ampel wartete, die East Fifty-Sixth überquerte und die First Avenue in Richtung des Restaurants hinunterschlenderte. Er hatte es nicht eilig. Er war nur einen Block davon entfernt und hatte noch eine Viertelstunde Zeit.
    Es war ein warmer Abend, aber es kühlte langsam ab. Bei gutem Wetter ging Quinn trotz seiner Warzen gerne zu Fuß durch die Stadt. Wie immer herrschte auf der First Avenue viel Verkehr, alle rasten Richtung Norden. Ein Lastwagen, der in einer Ladezone geparkt hatte, rumpelte los, und Quinn bekam eine ordentliche Portion Dieseldämpfe ab. Der Fahrer des Fahrzeugs hupte wütend, als er sich in einen Konvoi von Taxis zwängte, die den Fahrbahnrand nach potenziellen Kunden absuchten.
    Quinn störte das Gemisch aus Abgasen nicht, vielleicht, weil sie ihn an die Stadt und an Autos erinnerten. Er liebte Autos, aber es war ihm immer sinnlos erschienen, eins zu besitzen, wenn man in Manhattan wohnte, selbst als er es sich noch hätte leisten können. Doch es fühlte sich gut an, neben dem vorbeifahrenden Verkehr zu stehen und seinem konstanten Rauschen zu lauschen.
    Vielleicht würde er sich irgendwann, wenn er es sich wieder leisten konnte, ein Auto kaufen.
    Ein Foto, das aus einer Zeitung ausgeschnitten und von innen an das Schaufenster eines Blumenladens geklebt worden war, erregte seine Aufmerksamkeit. Der Laden war geschlossen und drinnen war es dunkel, deshalb stach das Rechteck aus Druckerschwärze auf dem weißen Papier besonders hervor. Er ging näher, um es genauer zu betrachten.
    Was er sich beim ersten Anblick gedacht hatte, erwies sich als richtig. Das Foto auf dem Zeitungsausschnitt war das von Luther Lunt, zusammen mit der Simulation eines älteren Luthers mit weniger Haaren und mehr Gewicht. Der heutige Luther. Ungefähr.
    Die Stadt wird von einem Geist heimgesucht, dachte Quinn, während er dastand und den Ausschnitt anstarrte. Dann bemerkte er den Aufkleber oder die Gravur direkt darüber – ein Netz, das aussah wie feine Risse.
    Während er es betrachtete, erschien ein zweites Netz, zusammen mit einem weißumrandeten Loch in der Mitte.
    Das waren keine Aufkleber oder Gravuren.
    Der Verkehrslärm hatte das Geräusch der Schüsse verschluckt, deshalb dauerte es einige Sekunden, bis Quinn begriff, was er da sah – Einschusslöcher!
    Jemand schießt auf mich!
    Er duckte sich und rannte in den Schutz eines geparkten Autos. Durch die Fenster spähte er auf den gegenüberliegenden Gehweg. Niemand schien etwas Außergewöhnliches bemerkt zu haben. Waren die Schüsse aus einem Fenster gekommen?
    Er wollte seinen Blick gerade nach oben richten, als er zwischen zwei Gebäuden auf der anderen Straßenseite eine Bewegung wahrnahm. Eine dunkle Gestalt, die sich schnell bewegte. Die Sohle eines Turnschuhs blitzte auf, hob sich, senkte sich wieder. Rannte!
    Rannte weg!
    Wie vom Teufel gejagt!
    Quinn sprang hinter dem Auto hervor und rannte über die Straße. Autos hupten und jemand schrie; er hörte das Quietschen von Bremsen, eine Sekunde nachdem eine Stoßstange sein Hose gestreift hatte. Er schlug einen Haken, um einem Auto auszuweichen, stoppte kurz, um ein anderes vorbeizulassen, dann war er auf der anderen Straßenseite und lief schnell auf den Durchgang zwischen den beiden Häusern zu, in dem die dunkle Person verschwunden war. Der Night Prowler – er konnte es spüren!
    Er stieß mit jemand auf dem Gehweg zusammen und hörte, wie der Mann nach Luft schnappte. Dann tauchte er in der Dunkelheit des Durchgangs ein und rannte dem gedämpften Licht am anderen Ende entgegen.
    Für einen Moment sah er eine Bewegung und war sich sicher, dass der Night Prowler noch immer in dem Durchgang war und wieder Geschwindigkeit aufnahm. Vielleicht hatte er

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