Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
Vom Netzwerk:
wirklich.
    Manchmal belastete ihn die mangelnde Vorstellungskraft der Gebildeten.
    Sie sind Dummköpfe, gelähmt durch ihre Sturzflut aus Fakten und Ängsten, ihre bequemen Schwarz-Weiß-Illusionen. Wie … Egal, das ist jetzt nicht wichtig …
    Claire!
    Sie warf ihren Strauß hoch in die Luft, und ein ungefähr zwölfjähriges Mädchen, das niemals hübsch sein würde, fing ihn auf und drückte ihn an ihren dürren Körper, als ob ein Prinz herausspringen könnte.
    Die lachende Claire … den Mund weit geöffnet, den Kopf zurückgeworfen, wie sie es immer tut …
    In die Limousine … der Geruch nach neuem Auto, glatte Ledersitze … rutsch, rutsch … die Tür schließt sich; dann die Tür des Chauffeurs … das sanfte Vibrieren des Motors, der Motor, die Gesichter an den Fenstern, alle lächeln herein, rufen lautlos … unsere Hochzeitsgäste … Die Hochzeit, der Motor, der blau-goldene Tag hinter den getönten Scheiben, die laufenden Gestalten nur blasse Schatten, das Leben, es gleitet, gleitet vorbei vor dem Fenster, während die Limousine schneller wird …
    Der Kuss an die saubere, weiße Zukunft! Lippen, Zähne berühren sich … die Bindung an den Ehemann … weiß und fleischfarben …
    Herzlichen Glückwunsch zur Hochzeit, Claire!
    Deine und meine.

47
    Sie befanden sich in einem klinisch reinen, ordentlich aufgeräumten Sprechzimmer im Roosevelt-Krankenhaus. Quinn saß auf einem unbequemen Holzstuhl mit gepolsterten Armlehnen, der schräg vor dem Schreibtisch stand. Es gab keine Fenster, aber die Leuchtstoffröhren strahlten so hell, dass es beinahe wie Tageslicht wirkte. Auf einem Regal stand, neben einigen medizinischen Fachbüchern, eine kleine Glasvase mit einer Rose darin, die höchstwahrscheinlich aus Plastik war. Es duftete leicht nach Pfefferminz.
    Der Name des Arztes war Liran, ein kleiner, feminin wirkender Mann mit dunklen Augen und typischen Chirurgenhänden – schlank mit langen Fingern. Hinter ihm an der Wand hingen gerahmte Diplome und Zertifikate. Vor ihm auf dem Tisch lagen verschiedene Schwarz-Weiß-Aufnahmen und Ergebnisse von Tests, die sie mit Quinn gemacht hatten.
    Quinn war optimistisch. Der Schmerz in der Brust war im Krankenwagen schwächer geworden und beinahe verschwunden gewesen, als sie den Eingang der Notaufnahme erreicht hatten. Er wollte weg hier, und er hatte nur zögernd zugestimmt, eine Reihe von Tests über sich ergehen zu lassen und über Nacht zu bleiben. Als die Krankenschwester ihn gefragt hatte, wen sie über seinen Zustand unterrichten sollte, hatte er überlegt, ihr Pearls Namen und Telefonnummer zu nennen, sich dann aber dagegen entschieden. Er konnte sich vorstellen, wie Pearl hereinstürmte und das Kommando an sich riss. Vielleicht würde sie das Personal so zur Weißglut treiben, dass sie am Ende eine Transplantation vorschlugen.
    »Wir warten ab, wie ich mich morgen früh fühle, bevor wir jemanden anrufen«, sagte er zu den Krankenschwestern.
    Sie ließen ihn spüren, dass ihnen das überhaupt nicht gefiel, auch wenn sie sich damit abfinden mussten.
    Er hörte, wie sie auf dem Gang über ihn sprachen, nachdem sie sein Zimmer verlassen hatten. »Soll er halt allein sterben«, sagte eine von ihnen. Er mochte Krankenschwestern, die Humor besaßen.
    Sie ließen ihn allein, bis sie mit einem jungen Arzt zurückkamen, der ihn über den »Vorfall« ausfragte und ihm schließlich erklärte, was getan werden musste, um mehr über seine Symptome herauszufinden. Fast die ganze Nacht hindurch wurde er gepikst, untersucht, gezwungen, ekelerregende Flüssigkeiten zu trinken, abgetastet und geröntgt. Eine Kernspintomographie versetzte seine Moleküle so in Aufruhr, dass er schließlich eine Schlaftablette brauchte, die aber nicht so recht wirkte.
    Es dauerte lange, bis es endlich Morgen wurde.
    »Wir konnten keinen Schaden am Herzen feststellen«, sagte Dr. Liran mit einem indischen Akzent, »aber die Bilder zeigen, dass ihre Arterien stark verkalkt sind.«
    Quinn wollte wissen, was das bedeutete.
    Dr. Liran zuckte hinter seinem Schreibtisch mit den Achseln. »Dass Sie immer noch leben, obwohl sie zu fettig essen und eine erblich bedingte Neigung zu Ablagerungen an den Arterienwänden haben.« Er lächelte sanft. »Sie werden froh sein zu hören, dass Sie in der Hinsicht ziemlich normal sind, Mr Quinn.«
    Quinn beschloss, die Sache auf den Punkt zu bringen. »Hatte ich einen Herzinfarkt?«
    »Vielleicht einen leichten, der keine erkennbaren Schäden hinterlassen

Weitere Kostenlose Bücher