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Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
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konnte auf den ersten Blick sehen, dass alles wertlos war; sie erkannte die Timex-Uhr aus Metall, die ihr Vater immer getragen und auf die er geschworen hatte. Lilitta nahm die Uhr und betrachtete sie so liebevoll, als ob es sich um eine Rolex für 20.000 Dollar handeln würde.
    Während die anderen drei mit dem Schmuck auf dem Bett beschäftigt waren, ging Anna zum Schrank. Im obersten Fach befanden sich alte Newsweek -Magazine, ein staubiges Wählscheibentelefon und ein Schuhkarton. Anna nahm den Schuhkarton herunter und öffnete ihn. Er enthielt ein Paar Joggingschuhe, die neu zu sein schienen. Als sie den Karton an seinen Platz zurückstellte, bemerkte sie eine alte Zigarrenkiste aus Holz, die hinter dem Karton verborgen gewesen war.
    Als sie nach der Zigarrenkiste griff, stellte sie fest, dass sie überraschend schwer war. Sie warf einen Blick über ihre Schulter um sicherzugehen, dass keiner sie beachtete. Dann trat sie näher an den Schrank heran und hob den Deckel. Der Duft von altem Tabak stieg ihr in die Nase.
    In der Kiste lagen ungefähr ein Dutzend Silberdollar, die mit einem Gummiband zu einem ordentlichen Stapel geschnürt waren, und ein kleiner Revolver.
    Fasziniert betrachtete Anna den Revolver, dann nahm sie ihn aus der Kiste und wog ihn in ihrer rechten Hand. Es fühlte sich gut an, als ob er dort hingehörte. Er war aus gebläutem Stahl und hatte einen geriffelten Griff aus Walnussholz. Sie konnte das matte Messing der Patronenhülsen im Zylinder sehen und wusste, dass er geladen war.
    Die Waffe ihres Vaters.
    Ihre Waffe. Sein Nachlass.
    Meine Waffe.
    Sie zu besitzen gab ihr ein Gefühl von geheimer Macht, die sie nicht mehr hergeben wollte.
    Sie zögerte kaum, bevor sie den Revolver unter ihre Bluse schob und in ihren Hosenbund steckte. Später konnte sie unten auf die Toilette gehen und sie in ihrer Handtasche verstauen.
    »Anna?«
    Die Stimme ihrer Mutter.
    Anna drehte sich um, die Zigarrenkiste immer noch in der Hand.
    »Was hast du gefunden, Schatz?«
    »Geld«, sagte Anna und hielt die Kiste hoch.
    Die billigen Manschettenknöpfe, Ringe und Krawattennadeln auf dem Bett waren vergessen, als Annas Mutter ihr die Kiste aus der Hand nahm.
    »Nicht viel«, bemerkte Dale, offensichtlich enttäuscht. »Zwölf Dollar.«
    »Aber aus Silber«, entgegnete Annas Mutter. »Für einen Sammler sind sie vielleicht etwas wert.«
    »Solche Dinge behalten die Leute, die den Haushalt versteigern, gerne für sich selbst. Ich will nicht habgierig erscheinen, aber ich denke, es wäre gerecht, wenn wir die Münzen unter uns dreien aufteilen.«
    Annas Mutter blickte Lilitta an.
    »Er meint die Familie«, sagte Lilitta. »Dale, Sie und Anna.« Sie hielt die Timex hoch. »Ich behalte Raouls Uhr, wenn es niemand was dagegen hat.«
    »Keine Einwände«, sagte Dale und trug die Zigarrenkiste zum Bett.
    »Nimm du meinen Anteil«, sagte Anna zu ihrer Mutter.
    Sie sah zu, wie Dale und ihre Mutter die zwölf Silberdollar sorgfältig aufteilten, vier für Dale, acht für Annas Mutter, wobei sie streng darauf bedacht waren, sie der Reihenfolge nach, eine nach der anderen, vom Stapel zu nehmen, ohne auf die Jahreszahlen zu achten. Lilitta verfolgte den Vorgang, ohne eine Regung zu zeigen.
    Alle waren mit dem Geld beschäftigt, keiner interessierte sich dafür, ob sonst noch etwas in der Zigarrenkiste gewesen war.
    Wie zum Beispiel der Revolver, der fest gegen ihre Hüfte drückte.
    Lars Svenson trat aus dem Hades Portal Club und sog die kühle Nachtluft ein. Er war von Kopf bis Fuß in schwarzes Leder gekleidet – schwarze Doc Martens, eine enge schwarze Hose und eine nietenbesetzte Lederweste über einem schwarzen T-Shirt.
    Seine Bedürfnisse waren in dem Club, in dem er Stammkunde war, nicht ganz befriedigt worden. Die Dame, die er gerne mitgenommen hätte, gehörte zu einem, der größer und wahrscheinlich auch gemeiner war als er. Doch da war in Ordnung für Lars, denn er war ihr nahe genug gekommen, um zu sehen, dass die Blutergüsse in ihrem Gesicht nur dunkles Make-up waren. Also war er bisher weder sexuell noch was Drogen anbelangte auf seine Kosten gekommen. Lars brauchte immer noch ein Ventil für seine kaum kontrollierbare Schuld und Wut, was bedeutete, dass er immer noch auf der Suche nach Meth oder Kokain war und nach jemandem, dem er wehtun konnte.
    Seit er ein Teenager gewesen war, hatten seine Beziehungen mit Frauen immer zu Gewalt geführt. Zuerst hatte er versucht zu verdrängen, dass es das war, was er

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