Opferschrei
Svenson sein richtiger Name ist.«
»Das können wir ihm nicht vorwerfen«, witzelte Claire. »Auch du hast deinen Namen geändert.«
»Das ist normal unter Schauspielern, aber nicht unter Möbelpackern.«
Jubal ließ sich wieder aufs Sofa fallen und benutzte die Fernbedienung, um die Nachrichten einzuschalten. Der Bildschirm war in vier Teile geteilt, um gleichzeitig zwei Frauen und zwei Männer in Businessklamotten zu zeigen, die über den Supreme Court stritten. Es erinnerte Claire an eine Wiederholung von Hollywood Square , die aus dem Ruder gelaufen war.
Sie ging in die Küche und holte eine neue Flasche Fensterputzmittel, um sich an die Fenster des zweiten Schlafzimmers zu machen.
Ob er nun Schwede war oder nicht, sie kriegte Lars Svenson nicht mehr aus dem Kopf. Es ärgerte sie, weil sie wusste, dass er genau das wollte.
Naja, nicht ganz. Schließlich war er ein Mann.
Claire wurde bewusst, dass sie sich nicht wirklich von Svenson angezogen fühlte. Zumindest nicht auf die übliche Art und Weise.
Sie hatte Angst vor ihm.
21
Die Frau im Spiegel war vorher weder reich – wenn auch nicht gerade arm – noch verheiratet gewesen. Beides bedeutete eine große Veränderung. Die Frau lächelte.
Der Spiegel, der an der Wand neben der Tür zum Flur lehnte, war eine Hinterlassenschaft der früheren Mieter. Sein Spiegelbild zeigte Mary Navarre, eine Frau Mitte zwanzig, die das rötliche Haar ihrer Mutter und die spanischen Augen ihres Vaters geerbt hatte und eine Nase besaß, die man als vornehm bezeichnen konnte. Sie war mittelgroß und schlank und trug ein hellbraunes Gucci-Imitat, das noch aus der Zeit stammte, bevor sie geerbt hatte.
Mary wandte sich vom Spiegel ab und schaute sich in der geräumigen Wohnung um, die in der West End Avenue lag. Sie fing an, im Kopf ihre Möbel zu arrangieren, die im Moment noch in New Jersey eingelagert waren. Sie war wirklich dankbar für die Erbschaft, hätte aber lieber noch ein paar Jahre darauf gewartet.
Sie vermisste ihre Mutter, die beim Schwimmen vor der Küste Floridas ertrunken war. Und sie vermisste ihren Vater, der vor sechs Monaten an einem Emphysem gestorben war, kurz nach ihrer Hochzeit mit Donald Baines. Sie und Donald hatten nicht geglaubt, dass sie von nur einem Gehalt leben konnten, auch wenn er zusammen mit seiner Versetzung nach New York eine Gehaltserhöhung erhalten hatte. Deshalb war Mary davon ausgegangen, dass sie sich irgendeinen Job in oder um Manhatten suchen müsste.
Dennoch war es ein Schock gewesen, als ihnen nach dem Tod ihres Vaters eröffnet worden war, dass Mary, das einzige lebende Kind, fast eine Million Dollar geerbt hatte.
Marys Vater Hector war 1980 in die USA gekommen. Er gehörte zu jenen Flüchtlingen, die Castro hatte gehen lassen, um Kubas Gefängnisse und psychiatrische Anstalten leer zu kriegen. Hector Navarre hatte im Gefängnis gesessen, weil er einen Mann bei einem Macheten-Duell um eine Frau umgebracht hatte. Dummerweise hatte es sich bei dem Mann um einen stellvertretenden Regierungskommissar gehandelt. Als es passiert war, war Hector noch ein Teenager gewesen, aber er hatte fast zwanzig Jahre im Gefängnis verbracht.
Als er so unverhofft freikam und im Südosten Floridas landete, machte er das Beste aus seiner Situation. Er sparte sein Geld, und nach nicht mal einem Jahr eröffnete er zusammen mit einem Partner, der den Großteil des Geldes zur Verfügung stellte, eine chemische Reinigung. Hectors Teil des Deals war seine Arbeitskraft. Innerhalb der folgenden drei Jahre eröffneten sie drei weitere Reinigungen in Miami. Hector stellte die Finanzierung sicher, zahlte seinen Partner aus und vergrößerte sein Unternehmen weiter, indem er Reinigungen in Fort Lauderdale und auf der anderen Seite des Staates in Tampa eröffnete. Als er starb, hatte er immer noch einen Großteil des Geldes, das er beim Verkauf an ein Franchise-Unternehmen vor fünf Jahren, kurz nach dem Tod seiner Frau, erhalten hatte.
Dieses Land ist wirklich großartig , dachte Mary nicht zum ersten Mal. Sie hatte nicht vor, die Chance, die ihr das Geld ihres Vaters bot, zu vergeigen. Das Geld brachte eine gewisse Verpflichtung mit sich. Sie würde vorerst kein Kind bekommen, sondern ab dem Frühjahr die New York University besuchen. Am Ende würde sie als Erste in ihrer Familie einen Hochschulabschluss ablegen. Vielleicht würde sie ins Reinigungsgeschäft einsteigen. Donald hatte nichts gegen ihre Pläne. Er war zwar kein perfekter Ehemann, aber er
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