Opferschrei
Mieter hereingekommen. Oder vielleicht funktionierte die Gegensprechanlage heute aus irgendeinem Grund nicht.
Claires Freund, der Schauspieler Jubal Day, hatte seine Rolle in Metabolism verloren, nachdem das Stück letzte Woche in Kansas City geschwächelt hatte; er war wieder in New York bei Claire. Er hatte beschlossen, bei ihr zu bleiben, auch wenn das bedeutete, dass er Rollen annehmen musste, die er nicht wollte, und in kleinen, unbekannten Theatern mit Klappsitzen und undichten Dächern spielen musste. Auch wenn sie so getan hatte, als wäre sie wegen des Stücks in Kansas City enttäuscht, freute sich Claire. Der gut aussehende, hoch aufgeschossene Jubal Day mit seinen wuscheligen dunklen Haaren und seinen stechend blauen Augen gehörte zu ihr. Gehörte ihr .
Als sie das Wohnzimmer betrat – den zusammengefalteten Lumpen, den sie zum Fensterputzen verwendet hatte, immer noch in der Hand –, stand er gerade vom Sofa auf, wo er vor sich hin gedöst hatte. Sie lächelte und deutete mit der Hand an, dass er sich wieder hinlegen sollte, da er zu verschlafen aussah, um zurechnungsfähig zu sein. Dann ging sie zur Tür.
Als sie öffnete, brauchte sie ein paar Sekunden, bis sie den Mann erkannte, der draußen im Korridor stand. Er war groß, blond und muskulös und trug einen schwarzen Anzug mit einem schwarzen Pullover unter der Jacke.
Er lächelte. »Lars Svenson«, erinnerte er sie.
»Ich weiß. Ich habe nur kurz gebraucht.«
»Ich bin nicht immer Möbelpacker. Ich hab noch ein anderes Leben.«
Claire lächelte. »Jeder Mensch hat mehrere Leben.«
»Ich dachte«, sagte Svenson mit einer lässigen Selbstsicherheit in der Stimme, »dass ich vorbeikomme und schaue, ob Sie Lust haben, einen Teil davon mit mir zu verbringen.«
»Äh, Mr Svenson …«
Er schüttelte den Kopf und verzog seinen Mund zu einem breiten Lächeln, das viel zu offensichtlich charmant sein sollte. »Claire, sagen Sie Lars. Und ich führe nichts Böses im Schilde. Aber aus irgendeinem Grund sind Sie mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Ich schleppe für viele Menschen Möbel, und normalerweise ist es nur ein Job. Aber …«
Er hörte abrupt auf zu sprechen, und sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Das Lächeln war verschwunden, als ob Claire es mit dem Lappen in ihrer Hand weggewischt hätte.
»Jemand auf der Suche nach Arbeit?«, fragte Jubal hinter ihr.
Svenson fasste sich schnell und das Lächeln war zurück. »Die Arbeit ist schon getan«, sagte er. Seine ganze Aufmerksamkeit war nun auf Jubal gerichtet. »Ich bin nur vorbeigekommen, um zu fragen, ob alles zur vollsten Zufriedenheit der Dame war. Das machen wir immer so.«
»Wir?«
»Mr Svenson war einer der Möbelpacker, die unsere Möbel hier hoch geschleppt haben«, sagte Claire.
»Wollen Sie mich verarschen?«, fragte Jubal Svenson und schob Claire ein Stück zur Seite. »Sie ziehen sich tatsächlich so an, wie ein Mittelwestler sich einen New Yorker vorstellt, und statten all ihren Kunden nach ein paar Tagen einen Besuch ab, um zu schauen, ob das Sofa am richtigen Fleck steht?«
»Meistens machen wir das nur bei den hübschen.« Svensons Lächeln war dasselbe, aber irgendetwas in seinen hellen Augen hatte sich verändert. »Ich weiß, dass sie nicht Claires Mann sind; sind Sie ihr Bruder?«
»Mehr als ein Bruder.«
Svenson zuckte mit keiner Wimper, doch nun schien er eher belustigt als wütend. »Vielleicht so etwas wie ein Bodyguard?«
»Unter anderem«, entgegnete Jubal. Claire hörte etwas in seiner Stimme; er hatte Angst, wich aber nicht zurück.
»Die Dienste eines Bodyguards sind hoffentlich nicht nötig«, sagte Svenson.
»Das hoffe ich auch.«
Sven lächelte wieder Claire an, dann nickte er. »Wenn Sie irgendetwas umstellen möchten, wissen Sie, wie Sie mich erreichen.« Dann drehte er sich um und schlenderte ohne Eile zu den Aufzügen. Alles an seinem Körper sagte, dass er die Kontrolle hatte und völlig unbekümmert war.
Claire wollte die Tür schließen, aber Jubal griff über sie und hielt sie offen. Sie schauten beide zu, bis der Aufzug kam.
»Noch mal danke für den Auftrag«, sagte Svenson zu Claire und winkte ihr kurz zu, bevor er in den Aufzug stieg und die Tür sich hinter ihm schloss.
»Was für ein widerlicher Kerl«, sagte Jubal, während er die Wohnungstür schloss und die Kette vorlegte.
»Er hat echt Nerven«, stimmte Claire zu, »einfach so hierherzukommen.«
»Und er sieht kein bisschen schwedisch aus. Ich bezweifle, dass Lars
Weitere Kostenlose Bücher