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Opferschrei

Opferschrei

Titel: Opferschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lutz
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verstehen, warum es dir ernst mit ihm ist. Was macht er jetzt?«
    » Metabolismus ist auf Tour. Er ist grad in Kansas City.«
    »Schade, dass er nicht bei dir sein kann. Okay, Claire, wenn du was brauchst, ruf mich an.«
    »Mach ich. Und nochmal danke, Maddy.«
    »Mach’s gut, und noch viel Spaß beim Nestbau.«
    Und genau das hatte sie, nachdem sie ihr Handy zurück in die Tasche gesteckt hatte. Sie drehte ihre Runden durch die Wohnung, rückte hier etwas zurecht, schob dort etwas weiter nach links. Sie fühlte sich richtig häuslich.
    Dieses Gefühl hatte sie mehr und mehr – häuslich zu werden. Es war komisch. Maddy hatte von Nestbau gesprochen. Vögel taten das, ein Nest bauen, ein Heim. Genau danach sehnte sie sich in letzter Zeit, und sie genoss es sehr, dass sie auf dem besten Weg dahin war.
    Sie fragte sich, was mit ihr los war.
    Plötzlich fiel ihr ein, dass sie in dem Umzugstrubel ganz vergessen hatte, einen Blick in den Briefkasten unten zu werfen, um zu sehen, ob die Post schon damit angefangen hatte, ihre Briefe an die neue Adresse zu senden.
    Als sie in der gefliesten Lobby stand und den Messingbriefkasten unter ihrer Apartmentnummer öffnete, dachte Claire erst, sie hätte sich den Gang auch sparen können. Der Briefkasten enthielt lediglich ein Angebot für ein Girokonto und einen Gutschein für eine kostenlose Pizzalieferung.
    Dann sah sie einen kleinen, weißen Umschlag, der etwas zerquetscht an der Seite des Briefkastens steckte.
    Im Briefumschlag befand sich Glücksfall Nummer zwei.
    Es war ein elegant von Hand geschriebener Brief von ihrer Lieblingstante Em aus Maine. Er war etwas zerknittert und um einen Scheck gefaltet.
    Nachdem Claire Tante Em per E-Mail davon in Kenntnis gesetzt hatte, dass sie eine der wichtigsten Rollen am Broadway ergattert hatte, hatte Tante Em zurückgemailt, dass sie ein Glückwunsch-Geschenk schicken würde. Und hier war es also. Genug Geld, um sich einen ihrer größten Wünsche zu erfüllen, von dem sie ihrer Tante oft erzählt hatte – einen professionellen Dekorateur zu engagieren. Tante Ems großzügiger Scheck war, zusammen mit der neuen Wohnung, das perfekte Geschenk.
    Claire überlegte, ob sie Maddy anrufen sollte, um die gute Nachricht mit ihr zu teilen, entschied sich dann aber dagegen. Maddy hatte nicht viel mehr im Kopf als Tanzen. Für sie war eine Wohnung gut ausgestattet, wenn es mehr als einen Sitzplatz darin gab.
    Claire musste zugeben, dass Maddy wahrscheinlich genau aus diesem Grund eine der begehrtesten Tänzerinnen in New York war.
    Claire mochte Maddy, doch hatte sie schon oft gedacht, dass ein menschliches Wesen mehr als nur ein Interesse haben sollte.
    Sie war sich ziemlich sicher, dass sie die Wohnungstür abgeschlossen hatte, deshalb verließ sie die Lobby und ging zum Laden an der Ecke, um eine hübsche Dankeskarte für Tante Em zu besorgen.
    Es war ein schöner, warmer Tag, und selbst die Plastikmülltüten, die am Rand des Bordsteins aufgereiht waren, glitzerten wie Juwelen in der Sonne. Vielleicht lag es nur an ihrer guten Laune, aber die Menschen auf dem Gehsteig wirkten weniger gestresst als sonst, mehr im Einklang mit sich und der Welt.
    Manchmal, dachte Claire, war das Leben einfach perfekt.
    Und voller Überraschungen.

5
    Pearl lag in ihrer schäbigen Wohnung im Bett und starrte an die Decke. Sie war von Rissen überzogen und brauchte dringend einen neuen Anstrich – genau wie der Rest des Apartments, das im vierten Stockwerk lag.
    Nachdem sie schon vor sechs Monaten eingezogen war, hatte sie es letzten Monat endlich geschafft, Malerutensilien zu kaufen: Kolonialweiß mit passendem Decklack, dazu Pinsel, Spachtel, Rollen, Farbwannen, Abdeckfolie und sogar eine Art Schwamm für die Ecken, Tür- und Fensterrahmen. Sie hatte alles da, was sie brauchte, einzig die Motivation fehlte. Und die Zeit.
    Ständig kam etwas dazwischen, wie zum Beispiel Morde, Vergewaltigungen oder Raubüberfälle, die den Großteil ihrer Zeit einnahmen und fast ihre gesamte Energie raubten.
    Die Malerutensilien standen in einem engen, regallosen Wandschrank im Flur und warteten darauf, endlich zum Einsatz zu kommen. Pearl hatte sie seit Wochen keines Blickes mehr gewürdigt.
    Ihr Job, ihre Arbeit, wo führte das alles hin? Genau wie alle anderen wusste sie, wo es seit dem Abend hinführte, an dem sie diesem Arschloch Egan über den Weg gelaufen war.
    *
    Sie hatte frei und war ins Meermont-Hotel gegangen, um die Toilette zu benutzen – eine Einrichtung, die

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