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Opferschuld

Opferschuld

Titel: Opferschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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haben, wissen Sie auch, dass ich, als ich jünger war, ein wenig über die Stränge geschlagen habe, doch als sie krank wurde, war ich bereits zur Ruhe gekommen. Ich fand nicht, dass ich das verdient hatte – sie zu verlieren, meine ich. Vielleicht bin ich bis an die Grenzen gegangen, aber ich habe sie nie überschritten. Zumindest damals nicht. Ich hatte Erfolg. War glücklich. Solche Tragödien passierten mir nicht.
    Als Liz starb, wollte ich abhauen, so tun, als wäre nichts geschehen. Aber wegen Abigail konnte ich das nicht. Bestimmt habe ich sie verwöhnt, aber das tun Väter doch immer, oder? Sie verwöhnen ihre kleinen Mädchen. Und ich habe sehr viel Zeit mit der Arbeit verbracht. Wenn ich dann schon mal da war, wollte ich, dass es was Besonderes für sie ist.» Er schwieg kurz. «Vor Jeanie hat es auch andere Frauen gegeben. Ein paar davon habe ich mit nach Hause gebracht. Aber alle wussten, dass Abigail an erster Stelle steht.»
    «Dann muss Jeanie ja etwas ganz Besonderes gewesen sein.»
    «Nein, eigentlich nicht. Sie war jung, sehr hübsch. Einetalentierte Musikerin. Aber es gab auch andere, die hübscher waren, sexuell reizvoller.»
    «Aber sie war die Erste, die Sie baten einzuziehen.»
    «Ich habe sie nicht gebeten. Nach einem Krach mit ihrem Vater ist sie einfach hier aufgekreuzt, mit ihrem gesamten Gepäck. Als ich von der Arbeit kam, hatte sie sich schon eingerichtet. Ein
fait accompli

    «Wieso haben Sie das hingenommen?»
    «Aus Gleichgültigkeit. Oder aus Bosheit. Ihr Vater konnte mich noch nie leiden, und es hat mir Spaß gemacht, ihn auf die Palme zu bringen. Und sie hatte so etwas an sich, so etwas Unschuldiges. Sie erinnerte mich ein wenig an Liz, als die noch ein junges Mädchen war. Ich fühlte mich wieder jung. An jenem ersten Abend war sie so dankbar, hier zu sein, gab sich solche Mühe, alles richtig zu machen. Sie hätte alles für mich getan. Das schmeichelte mir, und ich habe es mir leichtgemacht. Schließlich war ich ja nicht oft zu Hause. Ich habe mir eingeredet, es wäre gut für Abigail, jemanden um sich zu haben, der ihr vom Alter her näherstand.»
    «Aber Abigail mochte sie nicht?»
    «Sie konnte sie nicht ausstehen», sagte er ohne Umschweife. «Sie war wohl zu sehr daran gewöhnt, ihren Willen zu bekommen, immer im Mittelpunkt zu stehen.»
    «Also haben Sie Jeanie gesagt, sie soll ausziehen.»
    «Schlussendlich ja, im Herbst. Mir war klargeworden, dass es nicht funktionieren würde. Ich war einfach zu alt für sie. Sie war so leidenschaftlich, sie wollte mehr von der Beziehung.»
    «Heiraten?»
    «Vielleicht. Sie hat nie davon gesprochen, aber es hätte mich nicht überrascht.» Er zögerte. «Davon abgesehen, gab es noch eine andere. Ich brauchte eine Ausrede, um Jeanieloszuwerden. Die Situation war völlig verfahren, der helle Wahnsinn.»
    «Was geschah, als Sie Jeanie sagten, sie soll ausziehen?»
    «Es war schrecklich. Ich wusste ja, dass sie launisch und unberechenbar sein konnte, aber an jenem Tag ist sie völlig durchgedreht. Sie gab Abigail die Schuld an allem. Ich hatte sie für ziemlich prüde gehalten, aber jetzt warf sie mit Obszönitäten nur so um sich.»
    «Was hat sie über Abigail gesagt?», fragte Vera. «Was genau?»
    «Sie hat sie eine dreckige kleine Schlampe genannt. Unter anderem.»
    «Das haben Sie in Ihrer Aussage nicht erwähnt.» Vera wartete, aber Mantel gab keine Antwort, und sie sprach zögernd weiter: «Ihre Wut kann ich verstehen. Was glauben Sie, wieso Jeanie so ausfallend wurde?»
    «Weil sie wusste, dass es mich verletzen würde. Sie war eifersüchtig.»
    «Aber warum Schlampe? Warum ausgerechnet dieses Wort?»
    «Wenn Sie etwas über Abigails Sexualleben wissen wollen, können Sie auch fragen», sagte Mantel, und wieder fühlte Vera sich wie ein Wurm, genau wie vorhin bei ihrer Ankunft.
    «Sie haben recht», sagte sie. «Es tut mir leid. Sie verstehen aber doch, weshalb das wichtig sein könnte.»
    «Sie haben auch damals schon nach ihren Freunden gefragt. Sexualpartner, so nannten sie es. Es war mir gar nicht in den Sinn gekommen, dass sie mit jemandem geschlafen haben könnte.»
    «Und Sie waren entsetzt.»
    «Ich hatte kein Recht, entsetzt zu sein. Ich schlief mit Frauen, die meist nicht viel älter waren als Abigail. Ich warüberrascht. Ich hatte gedacht, sie würde mit mir über so was reden. Natürlich wusste ich, dass es passieren würde. Ich hatte mich gewappnet. Mir vorgestellt, dass sie irgendeinen Jungen mit nach Hause

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