Opfertod
dass er weitaus mehr über den Fall wusste, als er zugeben wollte. Und so hatte sie den ganzen Nachmittag damit zugebracht, das Internet nach Informationen über Volker Drescher zu durchforsten, die möglicherweise darauf hindeuteten, dass er in den Fall verstrickt war. Doch wie sie bereits vermutet hatte, offenbarten ihre Recherchen nichts weiter als eine lupenreine Weste. Drescher hatte eine tadellose Vita vorzuweisen und war seit über zwanzig Jahren erfolgreich im Polizeidienst tätig. Seine Bücher waren allesamt Bestseller. Zudem spendete er regelmäßig größere Summen für die SOS -Kinderdörfer und war engagiertes Mitglied im Förderverein »Opfer gegen Gewalt e. V.«. Alle weiteren Recherchen führten Lena immer wieder in eine Sackgasse. Lena ging auf die Website der Mordkommission und loggte sich in ihr Postfach ein. Gebannt klickte sie die Rundmail mit dem Betreff »Neue Indizien zum Verdächtigen Roggendorf« an, die an den Verteiler der Mordkommission gesendet worden war. Doch die E-Mail ließ sich nicht öffnen. »Zugriff verweigert«. Sie versuchte es erneut, und wieder erschien der Hinweis.
»So ein Mist!«, schnaubte Lena, als es plötzlich an der Tür klingelte. Verwundert sah Lena auf. Sie erwartete niemanden. Nach einem erneuten Klingeln sprang Napoleon vom Sofa und flitzte davon. Lena stand auf, lief über den Flur und öffnete. Vor der Tür stand ihr Nachbar, Lukas Richter, und hielt grinsend ein Sixpack hoch. »Ich habe gesehen, dass du zu Hause bist – und da fiel mir ein, wir haben noch gar nicht auf die neue Nachbarschaft angestoßen.«
Lena lächelte ihn an. Eigentlich war sie zu beschäftigt, aber andererseits kam sie im Moment ohnehin nicht weiter. Ein kühles Bier kam da wie gerufen. Zudem war ihr Lukas irgendwie sympathisch, und sie wollte ihn nicht schon wieder so abspeisen wie bei ihrer ersten Begegnung im Hof. »Dann wird es wohl höchste Zeit.« Sie nahm Lukas das Sixpack ab, trat einen Schritt zurück und hielt ihm lächelnd die Tür auf.
Sie gingen in die Küche, und Lena öffnete zwei Flaschen Bier. Die übrigen stellte sie kalt. »Was ist?«, fragte sie mit einem verunsicherten Lächeln, nachdem sie seinen schockierten Blick zum Kühlschrank gesehen hatte.
»Großer Gott, was … was ist das denn? Andere Leute hängen Fotos von Lebenden in ihrer Wohnung auf – aber du stehst wohl eher auf Tote, was?«
»Ach das … Berufskrankheit, schätze ich«, erklärte Lena peinlich berührt, nachdem sie seinem Blick zu den Fotos der Frauen gefolgt war.
Um das Thema zu wechseln, prostete sie ihm zu. »Cheers, auf unsere Nachbarschaft!«
Noch immer ein wenig irritiert, blickte er Lena an. Dann erhellte sich seine Miene. »Lass uns als Freunde anstoßen, nicht als Nachbarn«, sagte er lächelnd und hob seine Flasche. »Irgendwie habe ich geahnt, dass du bei der Polizei bist!«
»Wie man’s nimmt«, antwortete sie ausweichend und trank einen Schluck Bier.
»Lass mich raten, du bist eine Geheimagentin oder so was in der Art?«
Sie lachte. »Nicht ganz.«
»Sondern?«
Lena blickte ihn an. Sie kannte Lukas kaum, und normalerweise hätte sie auf die Neugier eines Fremden mit Zurückhaltung reagiert, doch bei ihm war das etwas anderes. Er gab ihr das Gefühl, dass sie sich schon ewig kannten. Sie führte Lukas ins Wohnzimmer, während sie ihm eine grobe Zusammenfassung davon gab, wie es ihr in den letzten Tagen ergangen war, ohne dabei zu sehr ins Detail zu gehen.
»Hört sich an, als sei das Ganze ziemlich dumm gelaufen«, meinte Lukas und ließ seine Augen neugierig durch den Raum wandern.
»Kann man wohl sagen …«, antwortete Lena und nahm seufzend auf dem Sofa Platz. Lukas ließ sich neben ihr auf das Sofa fallen. »Hier, vielleicht kann dich das ein wenig aufheitern«, sagte er, während er einen Flyer aus der Seitentasche seiner Army-Hose zog und ihn ihr reichte.
»The Preachers« , las Lena, während sie Lukas’ erwartungsvollen Blick auf sich spürte.
»Wir geben heute Abend ein kleines Konzert im Kings Club. Ich werde am Schlagzeug sitzen. Komm doch vorbei.«
»Ja, mal sehen …«, sagte sie ausweichend und legte den Flyer auf den gläsernen Couchtisch. Lukas nickte kurz. Es wirkt fast, als wäre er ein bisschen enttäuscht , dachte Lena.
»Ich lass dich im Kings Club einfach mal auf die Gästeliste setzen«, schlug Lukas vor. »Dann kannst du ja spontan entscheiden.«
Lena schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln. Dann fragte er: »Kann ich mal deine Toilette
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