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Opfertod

Opfertod

Titel: Opfertod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Winter
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geriet ins Taumeln und sank in die Knie.
    Mein Gott! »Dr. Dobelli – was haben Sie?«, rief Lena aufgebracht. Sie umfasste Dr. Dobellis Arm und versuchte, ihr aufzuhelfen.
    Die Frau ächzte. »Lassen Sie nur, es … es geht mir gut. Ich muss bloß eine Weile sitzen, das ist alles.«
    »Soll ich einen Pfleger rufen?«
    »Nein, nein … nicht nötig.« Umständlich setzte sie sich auf den Steg und stützte sich auf ihren Händen ab. Ihre Füße baumelten über dem Wasser. Als Lena sah, dass sich ihre Gesichtsfarbe wieder normalisiert hatte, setzte sie sich zu ihr und wollte gerade ansetzen, etwas zu sagen, als ihr Handy klingelte. Lena griff in die Tasche des Trenchcoats und sah auf das Display. Es war Wulf Belling. Der Zeitpunkt hätte unpassender nicht sein können, doch Belling würde sie wohl kaum in Edinburgh anrufen, wenn es nicht wirklich wichtig war. Lena blickte kurz zu Cornelia Dobelli. »Entschuldigung, bin gleich wieder da«, sagte sie und stand rasch auf.
    »Ja, was gibt’s?«, sprach sie mit gedämpfter Stimme und lief mit dem Handy am Ohr ein paar Schritte über den Steg. »Natürlich bin ich noch in Edinburgh, allerdings ist es bei mir gerade äußerst ungünstig.«
    »Mit Ihrer Schwester unter einem Dach zu wohnen ist die reinste Katastrophe!«, drang Bellings Stimme aus der Leitung. Er klang mehr als aufgebracht.
    Lena schloss für einen kurzen Moment die Augen und unterdrückte einen Seufzer. »Ich weiß, ich habe Ihnen ja gesagt, Tamara ist nicht ganz einfach.«
    »Nicht ganz einfach?«, beklagte sich Belling. »Tamara ist der reinste Alptraum! Nicht nur, dass sie meine Telefonrechnung in astronomische Höhen treibt, das Haus durch ihre Schusseligkeit beinahe in Brand gesetzt hätte und den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzt – sie lässt überall ihre Sachen herumliegen, inklusive der vollgeschissenen Windeln!« Sie hörte ihn schnaufen. »Und jetzt fängt sie auch noch an, Hasch zu rauchen! Mit dem Baby auf dem Arm! Mitten in meinem Wohnzimmer! Und das, wo ich mit meiner Tochter schon wahrlich genügend Ärger deswegen hatte. Sie glauben ja gar nicht, was für ein Kampf das war, Marietta von dem Zeug wegzubekommen!«
    Lena kaute auf der Innenseite ihrer Wange und senkte den Blick. Sie schämte sich für das Verhalten ihrer Zwillingsschwester, und es machte sie unendlich traurig, dass Tamara es immer wieder schaffte, ausgerechnet die Menschen zu vergraulen, die es gut mit ihr meinten. »Hören Sie, das alles tut mir furchtbar leid, aber ich … Wir reden darüber, sobald ich zurück bin, in Ordnung?«
    Mit diesen Worten beendete sie das Telefonat, im Nachhinein verärgert, das Gespräch überhaupt angenommen zu haben. Lena ging zurück zu Dr. Dobelli und setzte sich wieder neben sie auf den Steg. Und während sie im Kopf noch an einer Strategie bastelte, den Faden wieder aufzunehmen, kam ihr Dr. Dobelli unerwartet zuvor.
    »Ich hätte diesen Fall niemals annehmen dürfen«, erzählte sie, den Blick weiterhin auf den See gerichtet. Das Eis war gebrochen. Lena hob fragend die Brauen, gespannt darauf, was jetzt kommen würde.
    »Es gibt da einen Mann«, begann Dr. Dobelli und klang inzwischen etwas versöhnlicher. »Ich kannte ihn näher, wenn Sie verstehen, was ich meine … Er betreibt eine Galerie für moderne Kunst in Berlin. Zumindest sieht es nach außen hin danach aus. In Wahrheit verkauft er menschliche Plastinate an gut zahlende Kunden in der ganzen Welt. In Japan und den USA werden horrende Summen dafür geboten«, erzählte sie und schüttelte den Kopf. »Ich will gar nicht daran denken, wie krank der Künstler sein muss, der hinter diesen abartigen Werken steckt.«
    Lena sprang auf und griff sich an den Kopf. »Aber natürlich! Bei seinem Anruf hat der Täter sich als Künstler ausgegeben – es könnte also durchaus sein, dass es derselbe Mann ist. Und Volker Drescher und sein Team haben zwar sämtliche Möglichkeiten in Betracht gezogen, diese aber bislang außer Acht gelassen.« Sie spürte, dass sie auf dem richtigen Weg war. Umso mehr stellte sich ihr die Frage: »Warum haben Sie das nicht schon früher erzählt?«
    Dr. Cornelia Dobelli schaute mit glasigen Augen auf. »Ich hatte Angst.«
    »Wovor?«
    »Dieser Mann, mein Ex …« Sie hielt ihre Strickjacke fest um sich geschlungen. »… er ist der Grund, weshalb ich hier bin.« Es fiel ihr sichtlich schwer, darüber zu reden. Und kaum dass sie die Worte ausgesprochen hatte, setzte das nervöse Zucken an ihrem Auge wieder

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