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Opferzahl: Kriminalroman

Opferzahl: Kriminalroman

Titel: Opferzahl: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Gleiche.

    »Per Naberius«, sagt er mit tiefer Stimme von der Art, wie sie kein Mensch von Natur aus hat, sondern sich antrainieren muss. Medientraining.

    »Wissen Sie, was >kill pills< sind?«, fragst du ruhig.

    »Natürlich«, antwortet der Mann souverän. »Die Voraussetzung für Selbstmordattentäter. Man hat sie kürzlich im Irak entdeckt. Wie Sie wissen, bin ich im Irak aktiv, bei den friedenserhaltenden Truppen.«

    »Sie sind Waffenhändler, ja.«

    »Das ist eine triste Bezeichnung. Ich bin im Rahmen der friedenserhaltenden Truppen tätig.«

    »Können Sie etwas über Ihre Tätigkeit sagen?«

    »Wir sind ein Unternehmen. Ich bin das nicht allein.«

    »Selbstverständlich«, sagst du großzügig. »Naberius Enterprises Ltd.«

    »Korrekt«, sagte der Mann. »Wir liefern verschiedene Waffensysteme an die alliierten Truppen. Es hat hauptsächlich mit Elektronik zu tun. Die Kunsttischlerei der Waffenbranche, kann man sagen.«

    Du fühlst dich nicht so wachsam, wie du es dir wünschst. Noch hast du keinen Spalt gefunden. Aber du hast einiges gesehen. Du hast den überhäuften Schreibtisch gemustert und kritische Punkte lokalisiert. Trotzdem fühlst du dich noch nicht ganz bereit, als du gezwungen bist zu sagen:

    »Könnte es sein, dass die eine oder andere >kill pill< in die Lieferungen der Firma in den Irak und aus ihm heraus geraten ist?«

    Per Naberius macht sogenannte große Augen und sagt: »Aber mein Gott, natürlich nicht.«

    »Pinkies?«

    »Ich weiß, was das ist, und dies ist eine völlig abwegige Vorhaltung.«

    »Ganz sicher?«

    »Wir werden unterwegs von so vielen Zollbehörden kontrolliert, dass etwas Derartiges völlig ausgeschlossen ist. Das verstehen Sie doch?«

    »Na dann«, rufst du, und in dem Moment öffnen sich die Türen weit, und ein ganzer Pulk Männer strömt herein. Naberius tritt auf sie zu, um sie zurückzudrängen, aber Brynolf Svenhagen schenkt ihm nur einen irritierten Blick und zieht mit seiner gesamten Kriminaltechnikertruppe an ihm vorbei.

    Unterdessen nimmst du den Merkzettel an dich.

    Du hast gesehen, dass er unter dem Chaos auf dem Schreibtisch hervorlugte. Du hast die Bleistiftstriche darauf gesehen. Du nimmst ihn einfach an dich, ehe Svenhagen neben dir steht, und er steckt in deiner Tasche, als du die Kriminaltechniker mit einladender Geste an den Schreibtisch winkst, über den sie sich sofort hermachen. Sie grasen ihn ab, Zentimeter für Zentimeter, beschlagnahmen Computer, sichern, sperren ab, untersuchen, beschlagnahmen. Und alles, was sie beschlagnahmen, prägst du dir ein. Du prägst dir alles ein, außer den Zettel. Und im Laufe des Erinnerungsprozesses vergisst du ihn. Du vergisst den Zettel in der Tasche einer Jacke, die du ein paar Tage später in den Schrank hängst, weil inzwischen kein Winter mehr ist.

    Es ist Frühsommer. Obwohl auch diese Bezeichnung ihre Bedeutung verloren hat. Es ist einfach nur Sommer, ein ziemlich schlechter Sommer, und du stehst in der Tür zu deinem Zimmer und siehst, wie all die beschlagnahmten Sachen verschwinden, eine nach der anderen, und in jenen Bereich des Präsidiums gebracht werden, in dem die Säpo sitzt, Computer, Papiere, Büroausstattung, alles.

    Alles verschwindet, bis der Brief kommt. Ohne Briefmarke, ohne Absender, zum falschen Zeitpunkt. Deine Zweitälteste Tochter übergibt ihn dir. Er ist sehr kurz gefasst. Und es dauert noch einmal ein paar Tage - ein paar höllische Tage -, bis du so weit bist, dass du die Winterjacke aus dem Schrank holst. Du suchst in der Tasche, bestimmt ist er da, zwischen Quittungen, Rabattheften, Briefmarken, einem alten, steifen Taschentuch.

    Du suchst fieberhaft wie ein anderer Mensch.

    Ein anderer Mensch als der, der er heute war. Aber jetzt fühlte er in der Tasche nach, nun, in der Tasche der Sommerjacke, und da war es der Merkzettel, der ihn in die Wirklichkeit zurückrief, in die Spätsommerwirklichkeit. Und wieder sah er durch die Fenster des Treppenhauses die kleinen roten Häuschen und die große Kirche auf dem Hügel. Und die Wirklichkeit stand wieder still.

    Er stieg eine Treppe höher. Und noch eine. Im letzten Fenster war die Yuccapalme durch einen verrückten Farn ersetzt worden, der sich entgegen seiner Natur am Fensterrahmen emporrankte.

    Er betrachtete ihn und dachte an alles, was gegen die Natur war.

    Wie zum Beispiel das hier. Dass er an dieser Tür klingelte.

    Ein kleines Mädchen mit kreideweißem Haar öffnete. Sie sah mit einem flehenden Blick zu

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