Opferzeit: Thriller (German Edition)
an dem Telefonhörer zerren und ihn abreißen würde, könnte ich ihn als Knüppel benutzen und ihm die Scheiße aus dem Leib prügeln. Aber dann wäre das Telefon nutzlos. Was paradox wäre, denn ich brauche es. Oder ironisch. Oder beides.
»Bitte«, sage ich zu ihm. »Bitte.«
»Ich mach dir einen Vorschlag, Joe«, sagt er und stößt sich von der Wand ab, während er sich an einem seiner strammen Oberarme kratzt. »Hast du das Sandwich schon gegessen?«
»Welches Sandwich?«
»Das ich dir vorhin gebracht habe.«
»Nein.«
»Ich mach dir einen Vorschlag, Joe. Die Sache läuft folgendermaßen: Ich lasse dich deinen Anruf machen, und du isst dafür das Sandwich.«
Ich sage nichts.
Er auch nicht.
Ich denke an das Sandwich und daran, wie viel Überwindung es kosten wird, es zu essen. Ich denke an morgen, wenn ich hier rauskomme und nie mehr zurückkehre.
»Und?«, sagt er.
»Okay«, bringe ich mit Mühe hervor.
»Wie bitte, Joe?«
» Okay hab ich gesagt.«
»Schön. Weil ich gut drauf bin, will ich dir mal glauben. Erst machst du den Anruf. Ich erlaube es dir. Dann gehen wir in deine Zelle, und solltest du das Sandwich nicht essen, dann darfst du in Zukunft niemanden mehr anrufen. Ja, dann wirst du in Zukunft immer mal wieder im falschen Zellenblock landen und wir werden nicht so gut auf dich aufpassen, wie wir das sollten. Ehe du dichs versiehst, landest du aus Versehen bei den normalen Häftlingen und duschst zusammen mit den großen Jungs. Na ja, Missgeschicke passieren ständig. Verstehen wir uns, Joe?«
»Ich werde das Sandwich essen«, sage ich. Nachdem Melissa mich befreit hat, werde ich Adam aufsuchen und ihn so mit Schamhaar-Sandwiches vollstopfen, dass er wie ein Mohairpullover aussieht.
Ich hebe den Hörer wieder ab und wähle die Nummer meiner Mutter. Es klingelt ein paarmal, doch sie geht nicht dran.
»Der Deal gilt auch, wenn keiner abnimmt«, sagt Adam. »Dann hast du trotzdem deinen Anruf gemacht.«
»Wenn keiner abnimmt, ist es kein Anruf«, sage ich.
»Wenn du anrufst, und keiner ist da«, sagt er, »ist das genau genommen ein Anruf.«
Genau genommen werden ihn die Schamhaar-Sandwiches nicht umbringen. Trotzdem werde ich ihn so viele essen las sen, wie er kann. Aber was ihn umbringen wird, ist die Klinge, die sich langsam in seinen Magen bohrt.
Dann nimmt meine Mutter ab, und zum ersten Mal in meinem Leben bin ich erleichtert, mit meiner Mom zu sprechen.
»Hallo?«
Ich kann hören, wie Walt im Hintergrund fragt, wer es ist.
»Ich weiß es nicht«, sagt sie. »Hallo?«, wiederholt sie.
»Hi, Mom.«
»Es ist niemand dran«, sagt sie zu Walt, denn sie hat den Hörer vom Ohr genommen.
»Mom, ich bin’s«, sage ich.
»Hallo?«, sagt Mom.
»Vielleicht lässt du mich mal«, sagt Walt.
»Verdammt, Mom, ich bin hier. Kannst du mich nicht hören?«
»Joe? Bist du das?«, fragt sie.
»Ja.«
»Joe?«
»Ich bin’s«, sage ich, und ich muss daran denken, was die Seelenklempnerin vorhin angedeutet hat, von wegen Ersatzopfer, denn während ich dieses Gespräch führe, verspüre ich erneut das Verlangen, den Hörer von seinem Kabel zu reißen und Adam damit totzuprügeln.
»Und warum sagst du nichts?«, fragt Mom.
»Ist das Joe?«, fragt Walt.
»Ja«, sagt Mom zu Walt, ihre Stimme klingt leicht gedämpft, während sie den Hörer vom Ohr nimmt.
»Frag ihn, wie es ihm geht«, sagt Walt, und er brüllt sie fast an.
»Gute Idee, Schatz«, sagt Mom und nimmt den Hörer wieder ans Ohr. »Wie geht es dir, Joe?«, fragt sie, und diesmal brüllt sie mich fast an, denn im Hintergrund redet immer noch Walt mit ihr.
»Bestens«, sage ich.
»Bestens, sagt er«, wiederholt sie laut für Walt, um ihn zu übertönen.
»Wie schön«, sagt Walt. »Frag ihn, ob er sich auf die Hochzeit freut.«
»Natürlich tut er das«, sagt sie.
»Mom …«
»Frag ihn trotzdem«, sagt Walt.
»Mom …«
»Joe, wir würden gerne wissen, ob du dich auf die Hochzeit freust?«
»Ja. Natürlich«, sage ich.
»Das ist großartig«, sagt sie, dann leitet sie die Neuigkeit an Walt weiter, der genau wie sie reagiert. »Danke dass du uns angerufen hast, um uns das zu sagen«, sagt sie.
»Halt, halt, Mom …«
Doch sie legt auf.
Ich verdrehe die Augen so weit nach oben, dass ich ein Ziehen und einen Schmerz verspüre.
»Der Anruf ist beendet«, sagt Adam.
»Das ist nicht fair«, sage ich. »Man hat mich abgewürgt.«
»Genau genommen hast du deinen Anruf gemacht«, sagt er.
»Wir müssen doch irgendwie zu
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