Opferzeit: Thriller (German Edition)
wirklich, man würde es uns abkaufen, dass wir Joe erschießen mussten, weil er ab gehauen ist? Dass wir nicht in der Lage waren, ihn zu schnappen?«
»Warum nicht? Glaubst du etwa, das wird irgendjemanden interessieren?«, fragt Jack, und plötzlich scheint es, dass ich, sollte Kent nicht einwilligen, nicht der Einzige bin, der gleich ein paar Löcher verpasst bekommt. Sie könnten behaupten, ich hätte eine der Pistole in die Hände gekriegt und Kent erschossen, bevor sie dann mich erschossen haben. Auf diese Weise hätten sie eine Ausrede, warum sie mir so viele Löcher verpasst haben. Das ist Kent nicht klar. Sonst würde sie aufhören zu diskutieren.
»Man wird sich dafür interessieren«, sagt sie.
»Wer?«, fragt Jack. »Komm schon, Rebecca, das hier ist ein Freifahrtschein. Darum sind wir doch zur Polizei gegangen, oder? Um geschehenes Unrecht wiedergutzumachen. Um für Gerechtigkeit zu sorgen. Wenn wir es tun, dann können wir auch erzählen, warum wir hier draußen waren, und müssen nicht diesen übersinnlichen Hokuspokus über uns ergehen lassen.«
Sie antwortet nicht sofort. Das Pendel – oder die Abrissbirne – baumelt hin und her, und sie hat sich noch nicht entschieden, ob sie mitmacht oder nicht. »Die Angehörigen der Opfer wird es interessieren«, sagt sie.
»Nein, wird es nicht. Sie werden begeistert sein«, sagt Officer Sackgesicht.
»Sie haben es verdient, ihm vor Gericht ins Gesicht zu se hen«, sagt sie. »Sie haben ein Recht darauf, ihm Auge in Auge gegenüberzutreten.«
Keiner sagt etwas. Erneut denken sie nach, es gibt immer noch kein Zeichen von Melissa, die gespannte Lage wird noch angespannter, und auch mein Magen spannt sich immer mehr. Ich drücke meinen Daumen noch etwas tiefer hinein. Irgendetwas wabert da drin herum. Irgendetwas da drin will nicht mehr da drin bleiben.
»Wir können es tun, Rebecca«, sagt Jack. »Wir können es tun und behaupten, was wir wollen. Das ist dir doch klar, oder?«
Sie nickt. Langsam und entschlossen. »Ich … ich weiß nicht«, sagt sie. »Aber …«
»Das könnt ihr nicht machen«, sage ich.
»Halt die Klappe«, sagt Jack. »Rebecca …«
»Werden wir damit leben können?«, fragt sie.
»Nicht …«, sage ich.
»Halt verdammt noch mal die Klappe«, sagt Jack.
»Ich kann damit leben«, sagt Officer Sackgesicht.
Mein Magen vollführt eine letzte Drehung, dann werden meine Knie weich, und meine Schließmuskeln können nicht mehr, und bevor jemand erneut etwas sagen kann, dringt aus meinem Arsch ein Geräusch wie ein Donnerschlag. Er hallt durch die Bäume und über die Felder. Die Sauerei, die dann folgt, erinnert an eine Schlammlawine.
»Ach du Scheiße«, sagt Jack, und Officer Nase sagt etwas Ähnliches, und Sackgesicht und Kent ebenfalls, sie rufen also alle im Chor Scheiße . Alle rennen weg von mir. Ich sinke auf die Knie in den Matsch. Erneut ertönen mehrere Donnerschläge, unmittelbar gefolgt von einem Geräusch, das klingt, als würde man einen Eimer Wasser auf eine Matratze schütten. Ich falle zur Seite. Sackgesicht sieht aus, als würde er sich gleich übergeben, und Jack fängt an zu lachen. Er wirft seinen Kopf in den Nacken und muss sich auf die Schaufel stützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, er lacht genauso heftig wie vorhin Adam und Glen – wahrscheinlich sogar noch heftiger. So als würden gleich seine Stimmbänder reißen. Dann fängt Kent ebenfalls an zu lachen, erst ist es nur ein Grinsen, das immer größer wird und das sie noch schöner wirken lässt. Jacks Lachen ist ansteckend, je lauter er lacht, desto lauter stimmen die anderen mit ein. Die Officers Sackgesicht und Nase sind kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. Mein Darm lässt erneut einen fahren – diesmal hört es sich weniger wie ein Donnerschlag an, sondern mehr wie ein Messer, dass in einen Autoreifen sticht. Ich spüre, wie Flüssigkeit an meinen Oberschenkeln hinunterläuft und versuche, mich wieder hinzuknien, aber meine Kraft reicht nicht aus.
»Jetzt sollten wir ihn wirklich erschießen«, sagt Jack, und obwohl er lacht, sagt er das mit einem gewissen Ernst, mit einer Anspannung, aber sie ist jetzt durchbrochen. »Soll er den Wagen des Gerichtsmediziners vollstinken, nicht unseren.«
Kent lächelt und schüttelt den Kopf. Mit der einen Hand hält sie sich die Nase zu, und die andere hat sie vor dem Mund. »Bringen wir ihn einfach zurück«, sagt sie, »sollen sie ihn im Gefängnis sauber machen.«
Keiner widerspricht ihr.
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