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Opferzeit: Thriller (German Edition)

Opferzeit: Thriller (German Edition)

Titel: Opferzeit: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Cleave
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Bauarbeitern.
    »Alles ist so scharf«, sagt er.
    »Darf ich mal?«
    Er reicht ihr das Zielfernrohr. Es hat bessere Linsen als das Fernglas. Sie richtet ihren Blick auf das Gerichtsgebäude, dann lässt sie ihn die Straße rauf- und runterwandern, wo am Montag reger Verkehr herrschen wird. Das Gericht ist ein einstöckiges Gebäude. Von ihrem erhöhten Blickwinkel im dritten Stock des Bürokomplexes aus kann sie über das Dach des Gerichtsgebäudes hinweg tiefer in die Stadt hineinschauen. Das Gerichtsgebäude nimmt einen ganzen Block ein, und der Hintereingang liegt genau in der Mitte. Sie kann die Straßen sehen, die in sämtliche Richtungen führen, und stadtein- und -auswärts verlaufen parallel zwei Hauptstraßen – die eine links, die andere rechts am Gericht vorbei. Am Montag werden so viele Demonstranten hier sein, dass man einige der Straßen sperren wird. Ideale Bedingungen. Im Moment sind sie fast leer. An einem Samstagabend mitten im Winter in einem Stadtteil mit Bürokomplexen und einem Gerichtsgebäude, wo man nirgends Alkohol bekommt – warum sollte da irgendwer unterwegs sein?
    »Da«, sagt sie und gibt ihm das Fernrohr zurück.
    Er legt sich auf den Boden und hält das Fernrohr vor sich. Ein geeigneter, erhöhter Standpunkt. Von dem aus man mühelos einen freien Blick auf den Parkplatz hat. Nicht zu hoch, um sich wegen des Windes, der zwischen den Gebäuden pfeift, Sorgen machen zu müssen. Aber auch nicht zu hoch, um sich nicht schnell genug aus dem Staub machen zu können.
    Das, worüber sie sich am meisten Sorgen machen müssen, ist das Wetter. Es darf kein strahlender Sonnenschein sein, aber bei schlechtem Wetter funktioniert ihr Plan genauso wenig. Es darf nicht in Strömen gießen, und es darf keine Windböen geben. Das Problem mit dem Wetter in Christchurch ist, dass es sich genauso gut voraussagen lässt wie der Ausgang eines Pferderennens. Man setzt zwar auf den Favoriten, aber jeder hat eine Chance.
    »Ich werde mich nicht hinlegen können«, sagt er. »Denn dann müsste ich durchs Fenster schießen. Es lässt sich nur von der Hüfte aufwärts öffnen.«
    Sie wirft einen Blick auf ihre Uhr. Es ist zehn vor sechs. Um Punkt sechs wird der Transporter am Hintereingang des Gerichtsgebäudes vorfahren. Sie weiß das, weil es in der Routenbeschreibung stand, die sie von Schroder geklaut hat. Außerdem kennt sie auch die Lösung für Raphaels Problem. Sie ist ihr eingefallen, als sie am Donnerstag hier war.
    »Hilf mir mal«, sagt sie und geht zu den Farbdosen rüber, wo eine große, akkurat zu einem Quadrat gefaltete Abdeckplane aus Leinen liegt. Sie breiten sie auseinander und tragen sie zum Fenster rüber.
    »Was soll das werden?«
    »Wir hängen sie auf«, sagt sie und greift nach dem Klebeband in ihrer Tasche.
    Raphael scheint zu begreifen, und gemeinsam reißen sie Klebebandstreifen ab, und ein paar Minuten später werden sie durch einen Vorhang von der Straße abgeschirmt. Der Raum, der bereits dunkel war, ist jetzt stockfinster, doch mit der Taschenlampenfunktion an ihrem Handy sorgt Melissa für Licht. Dann nimmt sie ein Messer und schneidet vor einem der Fenster, die sich öffnen lassen, ein Rechteck aus der Abdeckplane, ein Loch nicht viel größer als ihr Kopf.
    »Da soll ich durchschießen?«, fragt Raphael.
    »Und zwar im Liegen«, sagt sie. »Von der Straße aus kann man nicht das Geringste sehen.«
    »Aber wo soll ich mich drauflegen?«, fragt er, und sie dreht sich zu den Sägeböcken mit dem Holzbrett um. Damit hat er seine Antwort.
    Sie ziehen die provisorische Plattform an die richtige Stelle. Er legt sich auf das Brett und schiebt sich in Position, sodass er durch die Abdeckplane nach draußen blicken kann.
    »Versuch’s mal«, sagt sie, dann befestigt sie das Fernrohr am Gewehr und reicht es ihm.
    Er rutscht auf dem Brett etwas weiter hinauf. Dann hält er sich das Zielfernrohr ans Auge und drückt das Gewehr gegen seine Schulter.
    »Das ist gut«, sagt er.
    »Du kannst also von da den Schuss abfeuern?«
    Er grinst zu ihr hoch. »Wenn das Fenster offen ist, ja.«
    »Aber du darfst es nicht öffnen, wenn du die Uniform trägst«, sagt sie. »Erst später.«
    »Ich weiß«, sagt er.
    Sie wirft einen Blick auf ihre Uhr. »Es ist fast so weit«, sagt sie.
    Raphael hält die Stellung. Melissa tritt an den Rand ihres provisorischen Vorhangs, schaltet das Licht von ihrem Handy aus und zieht ihn zur Seite. Überall in der Stadt brennen Straßenlaternen und Gebäudebeleuchtungen,

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